junge Welt, 23.11.1999
Kinderflüchtlinge ohne Rechte? jW sprach mit Birgit Broszeit vom Vorstand des Bundesfachverbandes Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF) e. V. F: Anläßlich des zehnten Jahrestages der Verabschiedung der UN-Kinderkonvention am 20. November beschäftigte sich der Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF) auf seiner Herbsttagung erneut mit der unbefriedigenden Situation von Kinderflüchtlingen in der Bundesrepublik. Eine Ihrer Hauptforderungen ist eine Altfallregelung, die auch der besonderen Situation von Kinderflüchtlingen gerecht wird. Dies dürfte sich mit dem gerade beschlossenen halbherzigen »Altfallkompromiß« der Bundesinnenminister wohl kaum erfüllt haben, oder? In keinster Weise. Es wurde deutlich, wie rechtlos die eigentlich besonders schutzbedürftige Gruppe der Kinderflüchtlinge in der BRD ist. Ein Appell unseres Bundesfachverbandes an die humanitäre Verantwortung der Entscheidungsträger blieb unbeachtet. F: Welche konkreten Vorstellungen haben Sie bezüglich des Sonderstatus' von Kinderflüchtlingen in der Altfallregelung? Unsere Vorstellungen gehen eigentlich dahin, grundsätzlich allen ohne Begleitung von Erwachsenen ins Land gekommenen Minderjährigen nach dreijährigem Aufenthalt ein Bleiberecht zu gewähren oder ihnen zumindest den gleichen Status wie Familien mit Kindern zuzubilligen. Auch das ist natürlich mit dem »Kompromiß« zur Altfallregelung nicht geklärt. Abgesehen davon, daß ja selbst Familien mit Kindern vor dem 1. Juli 1993 eingereist sein müssen, um unter die Altfallklausel zu fallen. Voraussetzung für die Regelung unserer Einzelforderungen ist, daß die Bundesregierung den bei der Unterzeichnung der Kinderrechtskonvention geltend gemachten Vorbehalt zurücknimmt. Die Bundesregierung hatte die Konvention nämlich nur mit dem Vorbehalt ratifiziert, daß das damit geschaffene internationale Recht keinen Vorrang hat vor nationaler Gesetzgebung. Aus der Verfahrensfähigkeit im Asylverfahren ab dem 16. Lebensjahr wird abgeleitet, die allein reisenden minderjährigen Jugendlichen auch hinsichtlich der Unterbringung und Betreuung wie Erwachsene zu behandeln. Der Kinder- und Jugendschutz bleibt auf der Strecke. Deshalb also unsere Forderung, den Vorbehalt der Ratifizierung zurückzunehmen und die Kinderrechtskonvention vollständig in nationales Recht umzusetzen. Das wurde auf unserer Herbsttagung auch erneut betont. Weitere Hauptforderungen sind die Abschaffung des Beschlusses des Bundesarbeitsministers vom 30. Mai 1997, wonach Flüchtlinge, die nach dem 15. Mai 1997 eingereist sind, keine Arbeitserlaubnis erhalten, und der Abschiebestopp für Minderjährige. Schon die Tatsache, daß allein in der Bundeshauptstadt in den ersten acht Monaten dieses Jahres 132 Minderjährige in Abschiebehaft genommen wurden, macht deutlich, wie wenig sich die Bestimmungen der Kinderrechtskonvention im praktischen Umgang mit Kinderflüchtlingen wiederfinden. F: Bezüglich der Abschaffung des Arbeitsverbots schrieb Ihr Verband am 12. Mai einen Brief an Bundesarbeitsminister Riester. Welche Bedeutung hätte die Abschaffung des Arbeitsverbots? Eine ganz praktische. Erst mit einer Arbeitserlaubnis sind die Jugendlichen nach einem erfolgten Schulabschluß in der Lage, eine Lehrstelle zu suchen, eine Ausbildung aufzunehmen oder an einer vom Arbeitsamt geförderten Maßnahmen teilzunehmen. Unabhängig davon müssen sie trotzdem erst durch eine »Arbeitsmarktprüfung«. Selbst kleinere Tätigkeiten wie Zeitung austragen werden erst durch eine Arbeitserlaubnis möglich. Inzwischen ist ja Bewegung in die Diskussion zum sogenannten »Blüm-Erlaß« aus dem Jahre 1997 gekommen. Verschiedene politische Kräfte, u. a. auch der SPD-Innenminister Schleswig-Holsteins Wienholtz, fordern die Aufhebung des Arbeitsverbots für Flüchtlinge. F: Von Ihrem Verband wird immer wieder kritisiert, daß es in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedliche Verfahrensweisen in der Behandlung der Kinderflüchtlinge gibt. Wir fordern, daß Personen, die angeben, jünger als 18 Jahre zu sein, auch so behandelt und entsprechend des Kinder- und Jugendhilfegesetzes in Obhut genommen werden müssen. Zur Feststellung des tatsächlichen Alters wenden wir uns gegen Einzelentscheidungen und fragwürdige medizinische Untersuchungen wie Handwurzelröntgen und entwürdigende Ganzkörperuntersuchungen. Vielmehr muß in solchen Fällen unserer Meinung nach ein qualifiziertes Verfahren über das Familien-/Vormundschaftsgericht eingeleitet werden, wobei während der Dauer des Verfahrens vom angegebenen Alter des Jugendlichen auszugehen ist. F: Welches werden die nächsten Aktionen Ihres Verbandes sein, um auf diese Problematik aufmerksam zu machen? Am 25. November soll in Berlin ein Gespräch von Verbandsvertretern mit Politikern stattfinden, wozu wir Vertreter aller Bundestagsfraktionen eingeladen haben, und am 22. Januar nächsten Jahres findet die öffentliche Präsentation einer nationalen Studie zum Umgang mit minderjährigen Flüchtlingen statt. Interview: Annett Schwarz, Chemnitz |