Die Welt, 25.11.1999 Eine EU-Kandidatur gilt der Türkei als Anreiz für Reformen Der konservative Politiker Mesut Yilmaz rechnet in Helsinki mit einer positiven Entscheidung - "Panzergeschäft ist für uns entschieden" Berlin - Am 11. Dezember wird auf dem EU-Gipfel in Helsinki entschieden, ob die Türkei als Kandidatsland aufgestellt wird. Im Vorfeld werben türkische Politiker in europäischen Ländern für ihr Land. In diesem Zusammenhang führte der Vorsitzende der mitregierenden konservativen Mutterlandspartei (Anap), Mesut Yilmaz, in Berlin Gespräche mit führenden Vertretern der Unionsparteien und bat sie um Unterstützung für die Bewerbung der Türkei. WELT-Mitarbeiter Ayhan Bakirdögen sprach mit Yilmaz über Ankaras EU-Bewerbung und die Panzer-Affäre. DIE WELT: Wie sehen Sie die Chancen der Türkei, Mitglied der Europäischen Union zu werden? Mesut Yilmaz: Alles spricht dafür, dass wir diesmal als EU-Kandidat aufgestellt werden. Das bedeutet eine Verspätung von zwei Jahren, denn wir wollten diesen Status schon auf dem Luxemburger Gipfel bekommen. DIE WELT: Welche Rolle spielt bei der Entscheidung Deutschland? Yilmaz: Herr Schröder hat sich bei vielen Anlässen für die Kandidatur der Türkei ausgesprochen. Er hat auch während des OSZE-Gipfels in Istanbul betont, dass der Türkei der Status eines Kandidaten gegeben werden sollte. Wir sind uns natürlich im klaren, dass bis zur Aufnahme der Beitrittsverhandlungen noch ein langer Weg vor uns liegt. Wir müssen bestimmte Verbesserungen in Menschenrechtsfragen und bei demokratischen Normen erzielen, was wir aufgrund der Terrorbekämpfung bis jetzt nicht machen konnten. Die Kandidatur der Türkei wird uns einen Anreiz geben, diese Reformen so schnell wie möglich nachzuholen. DIE WELT: Was bringt die Mitgliedschaft der Türkei Deutschland und den anderen europäischen Ländern? Yilmaz: Es könnte ein Beweis dafür sein, dass die EU nicht nur eine christliche Union ist. Das hat Schröder im Gegensatz zu seinen Vorgängern immer wieder betont. Wir glauben, dass Europa nicht nur ein geographischer Begriff, sondern eine Zivilisation verschiedener Religionen und Kulturen ist. Die Toleranz ist in der europäischen Mentalität ein wichtiger Faktor. DIE WELT: Ihre harte Kritik am ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl und der damaligen Bundesregierung hatte hierzulande eine Welle der Empörung ausgelöst. Würden Sie Ihre Kritik heute noch aufrechterhalten? Yilmaz: Es hat sich gezeigt, dass unsere Reaktion vor zwei Jahren gerechtfertigt war. Denn die Haltung der EU gegenüber der Türkei hat sich seitdem drastisch geändert. Der Regierungswechsel in Deutschland hat dazu beigetragen. Heute sind sich in der EU fast alle Länder einig, dass der Türkei damals Unrecht getan wurde. In Helsinki wird dieser Fehler hoffentlich korrigiert. DIE WELT: Eines der größten Hindernisse bei der Aufnahme der Türkei in die EU sind die Menschenrechtsverletzungen. Wann wird die türkische Regierung diesen Stolperstein in Richtung EU überwinden? Yilmaz: Wir haben seit 15 Jahren einen sehr harten Krieg gegen den Terrorismus geführt. Es war nicht realistisch, während dieses Krieges Fortschritte in dieser Hinsicht von der Türkei zu erwarten. Nach der Verhaftung von PKK-Chef Öcalan glauben wir, bessere Voraussetzungen für diese vernachlässigten, verspäteten Reformen zu haben. DIE WELT: Eine weitere Befürchtung ist, dass im Falle einer EU-Vollmitgliedschaft Millionen von türkischen Staatsbürgern nach Deutschland kommen und hier Arbeit suchen. Können Sie die Ängste der Europäer verstehen? Yilmaz: Das kann ich verstehen, aber wir haben mehrmals betont, dass wir mit unserer Vollmitgliedschaft die EU und insbesondere Deutschland nicht belasten wollen. Deswegen sind wir bereit, alle Vereinbarungen und Maßnahmen zu treffen, um dies zu verhindern. DIE WELT: Die Inflationsrate in der Türkei ist überdurchschnittlich hoch. Bei anderen Kandidaten werden acht bis zehn Prozent als zu hoch angesehen. Verdient die Türkei mit einer Inflationsrate von 60 Prozent einen Platz in der EU? Yilmaz: Wir sind momentan nicht in der Lage, die Maastricht-Kriterien zu erfüllen. Aber das sollte kein Hindernis für die Kandidatur der Türkei sein. Wir sind uns im klaren, dass wir nach unserer Kandidatur vor der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen diese Kriterien unbedingt erfüllen müssen. Das werden wir auch tun. DIE WELT: Mögliche deutsche Panzerlieferungen in die Türkei haben hier heftige Diskussionen ausgelöst. Wie reagiert Ankara darauf, wird die Regierung an der Lieferung der 1000 Kampfpanzer vom Typ Leopard II festhalten? Yilmaz: Die Sache ist von unserer Seite schon gelöst. Ich glaube, dass die Bundesregierung beschlossen hat, die Panzer in die Türkei zu liefern. Alles andere ist eine innenpolitische Diskussion in Deutschland. Da will ich mich nicht einmischen. DIE WELT: Die Amerikaner würden auch gerne Panzer an die Türkei verkaufen. Hat US-Präsident Bill Clinton bei seinem letzten Besuch in der Türkei dieses Thema angesprochen? Gibt es in dieser Frage konkrete Verhandlungen? Yilmaz: Sofern ich weiß, wurde dieses Thema nicht erörtert. Die türkische Regierung wird diese Panzer aus der Bundesrebublik einführen. Das türkische Außenministerium: http://www.mfa.gov.tr Unser Buchtipp dazu: "Die Türkei - Eine Herausforderung für Europa" von Plattner, Hans
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