junge Welt, 25.11.1999 Warum in Hamburg gegen Blohm + Voss demonstrieren? jW sprach mit Lühr Henken, Mitglied im Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung e.V. (Von 1995 bis 1997 einer der Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden und Internationales von Bündnis 90/Die Grünen; verließ die Partei wegen der völkerrechtswidrigen Kriegspolitik) F: Sie rufen mit dazu auf, am kommenden Freitag in Hamburg gegen die Taufe der Fregatte »Sachsen« bei Blohm + Voss zu demonstrieren. Welche Bedeutung hat die Fregatte? Der deutsche Marineinspekteur Lüssow fordert, daß sich Europa zwangsläufig zur Seemacht neben den USA entwickeln müsse. Das Einsatzkonzept der Bundesmarine geht weg von der Nordsee hin zum Mittelmeer und darüber hinaus. Kriegsschiffe gelten als sogenannte »Krisenreaktionskräfte der ersten Stunde«. Dabei sind Fregatten im Kriegsschiffverband das zentrale Schiff auf hoher See. Weil sie auf Grund ihrer Größe nicht so nahe an die fremde Küste herankommen, um auf Landziele schießen zu können, werden extra neuartige Korvetten für den Flachwassereinsatz konzipiert. Noch vor der Sommerpause 2000 soll im Bundestag über die Anschaffung von zunächst fünf von insgesamt 15 Korvetten entschieden werden. Im Haushaltsplan sind für das erste Los bereits 2,8 Milliarden Mark bereitgestellt. Im offiziellen Bundeswehrjargon heißt es, daß mit Fregatte und Korvette der »Verbund des Überwasserseekrieges von der hohen See bis in die Küste hinein verwirklicht« werden kann. F: Wie ordnet sich die Fregatte »Sachsen« in diese Konzeption ein? Die »Sachsen« ist das erste von drei Fregatten einer neuen Klasse F 124. Die beiden anderen werden in Kiel und Emden gebaut. Sie sind einzigartig vollgestopft mit High-Tech - ein »technischer Quantensprung«, wie ihr Chefkonstrukteur meinte. Zum ersten Mal in der Geschichte ist Deutschland dann fähig, einen gesamten Verband zu führen. Mit allem Drum und Dran verschlingt jedes der drei Kriegsschiffe über 1,25 Milliarden Mark Steuergelder. Damit sind sie momentan die teuersten Einzelstücke der deutschen Kriegswaffengeschichte. Der Unterhalt der drei Kriegsschiffe kostet 100 Millionen Mark jährlich. Für den Wert einer Fregatte ließen sich allein 480 Kindergärten oder 169 Grundschulen mit je acht Klassen errichten. F: Welchen Stellenwert hat Blohm + Voss heute in der Rüstungsproduktion? Einen außerordentlich bedeutenden und beschämenden. Weltweit berüchtigt als bedeutendste deutsche Werft, deren Kriegsschiffe erst beide von deutschem Boden ausgehenden Weltkriege zur See ermöglicht haben, ist B+V heute tatsächlich weltweit führend im Export von Fregatten. In den vergangenen 20 Jahren wurden 36 dieser Kriegsschiffe exportiert oder im Ausland in Lizenz gefertigt. Darunter acht für die Türkei, vier für Griechenland, zehn für Argentinien und eine für Nigeria. Kürzlich wurde ein Vertrag mit Südafrika abgeschlossen, mit vier Fregatten die Kriegsmarine des Landes aufzubauen. Um den Auftrag für sechs Korvetten für Malaysia zu bekommen, wurden 31 Mitbewerber aus aller Welt aus dem Rennen geschlagen. Hier zeigt sich meiner Meinung nach die Aggressivität und der Ehrgeiz dieser Thyssen-Krupp-Tochter in besonderem Maße. B+V ist außerdem bedeutend bei der Herstellung der zentralen Heereswaffe, dem Kampfpanzer Leopard. Für über 6 000 Leopard fertigte B+V die Wannen und einen Teil der Türme. Beim angestrebten Deal mit den 1 000 Leopard-II-Panzern für die Türkei wird B+V auch wieder beteiligt sein. F: Wenn es um Rüstungsproduktion geht, kommt schnell das Argument, sie sichere Arbeitsplätze ... Das Argument ist vorgeschoben und sachfremd, weil Kriegsschiffe nicht hergestellt werden, um Arbeitsplätze zu schaffen, sondern um Machtprojektion betreiben zu können oder um in Kriegen zu siegen. Aktionären winken zudem hohe Dividenden. B+V gilt als Ertragsperle auf Grund der Kriegsschiffproduktion. Mitte der 70er Jahre, als B+V noch schwerpunktmäßig zivilen Schiffbau betrieb, beschäftigte die Weft 4 000 Werftarbeiter im Neubau, heute, wo vor allem Kriegsschiffe gebaut werden, nur noch 400. F: Ist das konkrete Projekt, der Rüstungsproduzent vor der Haustür, geeignet, mehr Menschen in die Friedensarbeit einzubeziehen? Das hoffen wir zumindest. Insbesondere was den gewerkschaftlichen und kirchlichen Bereich anbetrifft. Zumal wir leider beobachten, daß die mit dem NATO- Krieg gegen Jugoslawien gewachsene Bereitschaft, sich zu engagieren, wieder zurückgeht. Dabei bestehen Notwendigkeiten und Chancen zuhauf, sich vor Ort - nicht nur in Hamburg - zu engagieren. Wenn ich bedenke, daß für die Herstellung neuer deutscher Waffen 230 Milliarden Mark verbraten werden sollen - die Nutzung verschlingt zusätzlich rund 320 Milliarden Mark - gibt es an einer Fülle von Rüstungsstandorten Möglichkeiten, sich gegen diesen Wahnsinn zur Wehr zu setzen. Angesichts der immensen Probleme in nahezu allen sozialen Bereichen unseres Landes ist es schlicht asozial, den Forderungen von Rüstungsindustrie und Generalität liebedienerisch nachzukommen. Zudem gibt es einen immensen Finanzbedarf für die zivile Prävention von Konflikteskalationen überall auf der Welt. Interview: Wera Richter *** Die Demonstration »Fregatten verschrotten statt Sozialabbau! Stoppt Kriegsschiffbau und -export!« in Hamburg beginnt am Freitag um 17 Uhr, Bhf. Sternschanze.
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