jungle world, 24.11.1999 Altlasten erledigt Die "Altfall-Regelung" für abgelehnte Flüchtlinge dient vor allem einer weiteren Verschärfung der deutschen Asyl-Politik. von wolf-dieter vogel Das Wort ist so diskriminierend wie die Sache selbst: "Altfall-Regelung". Gemeint war, so hatten zumindest Grünenpolitiker vorgegeben, dass alle abgelehnten Asyl-Suchenden einen sicheren Aufenthaltsstatus erlangen, die seit Jahren in Deutschland geduldet werden müssen: etwa staatenlose Palästinenser, die niemand aufnehmen will, oder Vietnamesinnen, die sich die DDR als Vertragsarbeiterinnen hatte importieren lassen. Herausgekommen ist nun jene "unzureichende, engherzige und blamable Scheinlösung", wie sie Pro Asyl-Sprecher Heiko Kauffmann schon vorab befürchtete. Einer geringen Zahl von Flüchtlingen, darin waren sich die Innenminister der Länder vergangene Woche in Görlitz einig, soll ein gesichertes Bleiberecht gewährt werden. Familien, die vor Juli 1993 hierher kamen, sowie Alleinstehende, die vor Januar 1990 eingereist sind, können aufatmen. Vorausgesetzt freilich, wie Bayerns Hardliner Günther Beckstein klarstellte, dass sie sich in die "wirtschaftliche, soziale und rechtliche Ordnung eingefügt" haben. Soll heißen: Wer ausreichend Wohnraum und eine Krankenversicherung vorweisen kann, das Asyl-Verfahren nicht absichtlich verschleppt hat, seine Kinder in die Schule schickt, selbst über ein gesichertes Einkommen verfügt und natürlich nicht straffällig geworden ist, kann sich die auf der Innenministerkonferenz vereinbarte "Altfall-Regelung" zu Nutze machen. Ausgenommen sind: Flüchtlinge aus Jugoslawien und Bosnien-Herzegowina - jenen Staaten also, aus denen mit die meisten Migranten kommen. Wer aber als abgelehnter Asyl-Bewerber ausreichenden Wohnraum haben will, muss nicht nur einen entsprechend toleranten Vermieter finden. Er sollte auch über genügend Geld verfügen, um das Dach überm Kopf überhaupt finanzieren zu können. Und schon das ist angesichts der gesetzlichen Bestimmungen kaum zu machen. In vielen Bundesländern dürfen nicht anerkannte Asyl-Suchende gar nicht arbeiten, in manchen nur, wenn sie keinem Deutschen oder Europäer einen Job wegnehmen. Die Konsequenz: Wer einigermaßen überleben und nicht in Hundehütten übernachten will, muss schwarzarbeiten oder beispielsweise mit steuerfreien Zigaretten handeln und läuft somit Gefahr, straffällig zu werden. Unter die gesetzliche Regelung für die von Beckstein und seinem Berliner Pendant Otto Schily (SPD) "Altlasten" genannten Fälle zu gelangen, wird also sehr schwer werden. Für genügend Fallgruben hat man jedenfalls gesorgt, wie auch Pro-Asyl-Sprecher Kauffmann kritisiert: "Die Behörden und die Innenminister schicken die Flüchtlinge in ein erschwertes Hindernisrennen auf eine Marathonstrecke - mit der Erwartung, dass kaum jemand ins Ziel gelangt." Ein schlichtes und ebenso nahe liegendes Kalkül, so nahe liegend, dass es Beckstein selbstverständlich von Anfang an im Auge hatte. Wohl deshalb kommt er im Gegensatz zu seinen sozialdemokratischen Kollegen nicht auf 20 000 Menschen, die nun von der Altfall-Regelung profitieren würden. Eine konkrete Zahl wollte der bayerische Minister zwar nicht nennen, die Summe sei aber sicher deutlich geringer. Beckstein weiß, wovon er spricht: Auch bei der 1996 von der christlich-liberalen Bonner Regierung geschaffenen Altfall-Regelung hatte Schily-Vorgänger Manfred Kanther die Zahl 20 000 ins Spiel gebracht. Tatsächlich konnten sich damals gerade einmal 7 800 Flüchtlinge einen gesicherten Aufenthalt verschaffen. Viel Mühe um rot-grünes Outfit hat man sich ohnehin nicht gegeben. Die beschlossene Vereinbarung unterscheidet sich praktisch in nichts von der alten Unions-Verordnung. So konnte Beckstein vergangene Woche zufrieden feststellen, "auch bei Ausländerfragen" gebe es mit der SPD "eine große gemeinsame Grundlage". Die Grünen freilich ersparten sich jedes Wort des Widerspruches - und damit weitere Peinlichkeiten. Schließlich waren sie nach den Koalitionsverhandlungen mit der Perspektive auf Verbesserungen für "Altfälle" hausieren gegangen. Faktisch wurde schon damals im Vertrag nur wachsweich festgelegt, man wolle "mit den Ländern eine einmalige Altfall-Regelung erreichen." Mehr nicht. Warum Marieluise Beck jetzt von einem "Teilerfolg für die Integration" spricht, wird wohl ihr Geheimnis bleiben. Selbst der "erfolgreiche Kompromiss", von dem nun allerorten die Rede ist, wirft ein falsches Licht auf die Görlitzer Vereinbarung. Denn abgesehen von dem gescheiterten Versuch der Union, Vietnamesen und Vietnamesinnen von der Regelung auszuschließen, war sich Schily mit seinen christdemokratischen Kollegen von Anfang an einig. Das Geschwätz vom angeblichen Kompromiss lenkt lediglich davon ab, dass es die Sozialdemokraten und ihr grüner Partner selbst waren, die im Windschatten einer "humanitären Lösung" eine weitere Verschärfung der deutschen Asyl-Politik in Aussicht gestellt haben. Der Beschluss, konnte Beckstein zufrieden sekundieren, sei nur Teil eines umfassenden Asyl-Paketes. Mit der beschlossenen Regelung verbanden die Minister vor allem eine Beendigung des Problems der "Altlasten", um dann mit neuem Tatendrang voranzuschreiten. Wie in der Vereinbarung nachzulesen ist, wollen sie künftig effizienter dafür sorgen, dass der Aufenthalt abgelehnter Asyl-Bewerber schnell und "konsequent beendet" wird. Eigens dafür wurde in Görlitz eine Arbeitsgruppe von Staatssekretären ins Leben gerufen. Um ihrer Entschlossenheit entsprechenden Nachdruck zu verleihen, bekräftigten die Innenpolitiker, worauf Schily seit Monaten hinarbeitet: Im Frühjahr 2000 sollen die Behörden damit beginnen, Flüchtlinge aus dem Kosovo abzuschieben. Bis zum Jahresende sollen die meisten der rund 180 000 Kriegsflüchtlinge wieder in die jugoslawische Region zurückgeschickt worden sein. Dafür hat sich auch der CDU-Bundesfachausschuss Innenpolitik stark gemacht. "Eine zentrale Bedeutung kommt dabei den für die Rückkehr auf dem Land erforderlichen Transitabkommen zu", heißt es in einem Beschluss des Gremiums vom 5. November. Das weiß auch Schily: Wegen des Wirtschaftsembargos sowie des Flugverbots müssen derzeit andere Wege gefunden werden, um reibungslos abzuschieben. In den letzten Wochen führte der SPD-Politiker also Gespräche mit Österreich, Bosnien-Herzegowina, Slowenien, Italien, Kroatien, Mazedonien, Albanien und Ungarn. Rückendeckung erhält Schily vom grünen Koalitionspartner: Trotz 120 000 zerstörter Häuser, zusammengebrochener Infrastruktur und anderer Folgen des Nato-Krieges ist nach Meinung von Gerd Poppe, dem grünen Menschenrechtsbeauftragen des Auswärtigen Amtes, keine humanitäre Katastrophe zu erwarten. Und damit auch wirklich nichts schiefgeht, haben die Innenminister beschlossen, auf ihre eigene Art zum Ausdruck zu bringen, wie sehr ihnen an gesicherten Verhältnissen im südlichen Jugoslawien gelegen ist: Für den Aufbau der Zivilverwaltung wird die Berliner Regierung nun weitere 210 deutsche Polizisten in die serbische Provinz schicken.
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