ap 25.11.1999 16:13
Deutsche Politiker warnen vor Hinrichtung Öcalans
Bestätigung des Todesurteils scharf kritisiert - BKA rechnet
nicht mit Welle von gewaltsamen
Protesten
Berlin/Bonn (AP)
Die Bestätigung des Todesurteils gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan
ist in Deutschland teils scharf kritisiert
worden. Politiker von Koalition und Opposition riefen das türkische
Parlament am Donnerstag in Berlin dazu
auf, die Vollstreckung des Richterspruchs gegen den Anführer der
verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans
abzulehnen. Zu Massenprotesten von Kurden gegen das Urteil kam es bis
zum nachmittag nicht. In Hamburg
demonstrierten lediglich rund 100 Menschen friedlich. Nach Einschätzung
des Bundeskriminalamts (BKA)
droht auch in den nächsten Tagen keine neue Welle von gewaltsamen
Protesten in Deutschland.
Nach den Worten von FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle wäre
die Hinrichtung Öcalans eine «klare
Absage der Türkei an das in Europa geltende Menschenrechtsverständnis».
Die Bundestagsfraktion der
Grünen werteten das Urteil als ein «fatales Signal»
für eine friedliche und politische Lösung der kurdischen
Frage. Mit der Vollstreckung würde die Türkei die Voraussetzungen
für einen Dialog mit der kurdischen Seite
zerstören, erklärten die menschenrechts- und verteidigungspolitischen
Sprecherinnen Claudia Roth und
Angelika Beer. Mit europäischen Menschenrechtsstandards sei das
Urteil nicht vereinbar.
Das unterstrich auch der außen- und sicherheitspolitische Sprecher
der CSU-Landesgruppe im
Bundestag, Christian Schmidt: «Ein Verzicht auf die Vollstreckung
wäre ein Beweis für die Bereitschaft der
türkischen Politik, einen Schritt hin zu den Rechtsnormen der Europäischen
Union zu gehen.»
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte die
endgültige Abschaffung der
Todesstrafe in der Türkei: «Öcalan darf nicht hingerichtet
werden. Dieses Urteil kann eine Entwicklung
einleiten, an deren Ende mehr als nur eine Hinrichtung steht»,
sagte die Generalsekretärin der deutschen
Sektion, Barbara Lochbihler, in Bonn. Sie wies darauf hin, dass in der
Türkei seit 15 Jahren keine Todesurteile
mehr vollstreckt worden sind.
Der Verband der Vereine aus Kurdistan forderte die Bundesregierung
auf, sich aktiv gegen die
Vollstreckung des Todesurteils einzusetzen. Die internationale Gemeinschaft
dürfe «nicht länger tatenlos
zusehen, bis alle Wege zur politischen Konfliktlösung» versperrt
sind, hieß es in einer Erklärung.
Zentrum für Türkeistudien warnt vor Überbewertung
Gegen eine Überbewertung des Todesurteils sprach sich das Zentrum
für Türkeistudien in Essen aus.
«Angesichts der momentanen Rechtslage war kein anderes Urteil
zu erwarten», erklärte die stellvertretende
Direktorin des Zentrums, Cigdem Akkaya. Aus der formellen Überprüfung
des Urteils dürften keine politischen
Schlüsse gezogen werden.
Nach Einschätzung des BKA sind vereinzelte Demonstrationen von
PKK-Anhängern in Deutschland in
den nächsten Tagen möglich. Breit angelegte und gesteuerte
Aktionen wie im Februar seien allerdings nicht zu
erwarten, sagte BKA-Chef Ulrich Kersten.
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