Süddeutsche Zeitung 26.11.1999 Öcalan strafen - Europa meinen Lohnt überhaupt die Aufregung, welche die Bestätigung des Todesurteils gegen den kurdischen Rebellenführer Abdullah Öcalan in Europa ausgelöst hat? Eigentlich nicht, denn der Spruch der Berufungsrichter in Ankara war strenggenommen das Nicht-Ereignis der Woche, er hatte einen Überraschungs- und Neuigkeitswert wie die Nachricht, dass Silvester auf den 31. Dezember fällt. Dennoch reagieren die Europäer feinfühlig wie Seismographen auf jede Nachricht, die mit den Kurden zu tun hat. Dies liegt freilich keineswegs - wie manche Kreise in Ankara noch immer unterstellen - an einer besonderen Sympathie für "Apo"; dies liegt vielmehr daran, dass Hunderttausende von Kurden in Deutschland und in Holland, in Schweden und in der Schweiz leben. Mit anderen Worten: Auch wenn die Türkei hartnäckig ein eigenes Kurdenproblem leugnet, so kann sie schlecht abstreiten, dass Europa ein Problem mit den Kurden und ihrem Schicksal hat. Die Folge ist ebenso unerfreulich wie unausweichlich, auch wenn es Ankara nicht gefällt: Denn ob es ums Verhältnis der Türkei zu Europa geht oder um Autonomie für die Kurden, ob um das türkische Demokratiedefizit oder um die erdrückende politische Rolle des türkischen Militärs - all diese Fragen sind untrennbar miteinander verwoben. Türkische Gegner einer EU-Mitgliedschaft haben das schon lange erkannt. Sie wissen: Jeder Schritt, den sie Öcalan dem Galgen näher bringen, bedeutet einen Schritt weg von Europa, weil dies den Europäern den Vorwand liefert, die Taue zur Türkei zu kappen. Indes: Auch der Umkehrschluss ist richtig. Die Europafeinde in der Türkei lassen sich ab sofort leicht demaskieren. Wer "Apo" schlägt, meint allzu oft Europa. ky.
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