StuttgarterNachrichten 26.11.1999

Kommentar

Hängepartie Öcalan

VON WINFRIED WEITHOFER

Der Rechtsweg für Öcalan ist zu Ende. Das Schicksal des kurdischen Rebellenführers scheint nach dem Spruch des obersten türkischen Berufungsgerichts besiegelt, seine Hinrichtung binnen kurzem bevorzustehen. Doch so eindeutig die letzte Instanz auch entschieden hat: Öcalan kann einstweilen weiter ruhig schlafen. Die Strafkammer war sich sehr wohl darüber bewusst, dass ihr nicht das letzte Wort zusteht. Insofern hatte sie keine Probleme, sich strikt an das Gesetz zu halten und das Todesurteil zu bestätigen.

Nun ist die Akte Öcalan in den Händen der Politiker. Die werden sie freilich erst einmal von einem Schreibtisch zum anderen schieben, denn an einer Vollstreckung des Todesurteils kann Ankara nicht gelegen sein. Immerhin hat sich der Rebellenführer glaubhaft gewandelt, er hat die PKK gezwungen, sich von einer Guerillaorganisation zu einer politischen Partei zu entwickeln. Sein Tod am Strang würde die Rebellen nur radikalisieren und den Krieg in den Kurdengebieten neu anheizen. Und warum sollte sich Ankara von Öcalan die Rückkehr zu einer Strafe aufzwingen lassen, die de facto abgeschafft wurde?

Wenn dem Rebellenführer der Galgen erspart bliebe, wäre dies auch ein wichtiges Signal an Europa: Auf dem Gipfel der Europäischen Union in Helsinki soll über einen Kandidatenstatus für die Türkei entschieden werden. Ein toter Öcalan wäre mit Sicherheit das Aus für alle EU-Träume Ankaras. Auch mit der erhofften deutschen Waffenhilfe wäre es dann vorbei. Noch hat die Justiz ihre Chance - auf europäischer Ebene. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg steht bereit, um der Türkei aus der Patsche zu helfen.