Sindelfinger, Böblinger Zeitung, 30.11.1999

Geheimnisbruch ohne Folgen

Wer plauderte aus dem Bundessicherheitsrat?

Berlin - Es war eine der schwersten Krisen der Koalition, als der Bundessicherheitsrat vor sechs Wochen der Lieferung eines Testpanzers an die Türkei zustimmte.

VON MORITZ DÖBLER

Das Gremium, formal ein Kabinettsausschuss, billigte die Rüstungslieferung in geheimer Abstimmung. Geheim? Binnen Stunden wurde bekannt, wer wie votiert hatte: Dafür waren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD), der sich vertreten ließ, und Wirtschaftsminister Werner Müller (parteilos), dagegen stimmten Außenminister Joschka Fischer (Grüne) und Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD).

Diese Indiskretion ist ein Straftatbestand, denn die Geheimhaltung ist vorgeschrieben. Wer dabei ist, wo das Gremium tagt, welche Entscheidungen es fällt - das ist streng geheim. Trotzdem erkennt die Justiz keine Notwendigkeit, tätig zu werden. Für die Bundesanwaltschaft komme Landesverrat nicht in Betracht, weil es nicht um Spionage gehe, sagt Sprecherin Eva Schübel. Daher sei die Behörde außen vor. Sie verweist auf die Staatsanwaltschaft Berlin. Auch dort sieht man keine Veranlassung, tätig zu werden. Geheimnisbruch sei zwar ein Offizialdelikt, also eines, bei dem die Staatsanwaltschaft Ermittlungen einleiten muss, bestätigt Justizsprecherin Michaela Blume. Allerdings sei vorher eine Ermächtigung des Gesetzgebungsorgans oder der zuständigen obersten Bundesbehörde nötig.

Das Justizministerium sieht das anders. Falls die Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht habe, solle sie ermitteln und die Ermächtigung später einholen. Das Papier könne noch bis zum Revisionsverfahren nachgereicht werden. ¸¸Die Staatsanwaltschaft ist am Zug. Sonst beißt sich die Katze in den Schwanz'', sagt Ministeriumssprecher Hans-Hermann Lochen. Denn wer für die Ermächtigung zuständig sei, könne man erst im Laufe der Ermittlungen wissen.

Die Zuständigkeit richtet sich nach dem oder den Verdächtigen. Fünf Regierungsmitglieder waren in der Sitzung des Sicherheitsrats dabei, eine Reihe ihrer Mitarbeiter dürfte eingeweiht gewesen sein: Der Kreis der möglichen Gesetzesbrecher ist also überschaubar. Wenn die Justiz den Tatverdächtigen nicht exakt benennen kann, eröffnet sie üblicherweise ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt. Dass es aber noch dazu kommt, scheint unwahrscheinlich.