fr, 1.12.99

Die Regierung muss belegen, warum ein Waffenexport gewollt ist

Der Hamburger Friedensforscher Hans J. Gießmann erinnert an die Vorgaben des Grundgesetzes bei der Produktion und beim Handel mit Rüstungsgütern

Nachdem der Bundeskanzler dem Koalitionszwist um die Lieferung eines Testpanzers an die Türkei eine Zwangspause verordnet hat, schienen die Wellen zunächst geglättet. Die Atempause könnte kurz sein. Erschöpfen sich die für Ende des Jahres avisierten Politischen Grundsätze der Bundesregierung zum Export von Rüstungsgütern in Formelkompromissen, ist neuer Krach vorprogrammiert. Hans J. Gießmann vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg erläutert im folgenden Beitrag die Hintergründe. Wir dokumentieren seinen Text im Wortlaut.

Der jüngste Streit resultiert aus einer auf den Kopf gestellten politischen Debatte. Er spiegelt die irrtümliche Annahme wider, als sei die Ausfuhr von Rüstungsgütern nicht beschränkt, es sei denn, es existierten gewichtige Gründe dagegen - wie zum Beispiel gravierende Verletzungen von Menschenrechten durch einen Empfänger. Auf diese Weise wird Beweislast umgekehrt. Nicht die Ausfuhr wird begründet, sondern geprüft, ob gelieferte Rüstungsgüter eine Verletzung von Menschenrechten begünstigen. Das im Falle von Exporten in die Türkei oft zitierte Genscher-Diktum ("Alles, was schwimmt, geht") unterstellte sogar, dass z. B. die Lieferung von Kriegsschiffen gar nicht beschränkt werden muss, da diese für eine Verfolgung von Kurden kaum in Frage kommen. Es entbehrt nicht einer gewissen Skurrilität, dass Befürworter der Panzerlieferung, diesem Diktum folgend, die Geographie Anatoliens bemühten, um die mangelnde Eignung des Leopard II für einen Einsatz in Kurdengebieten zu erklären.

Während so in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt wird, als seien Für und Wider nicht nur gleich verteilt, sondern gleichberechtigt, gerät aus dem Blick, dass - als Lehre aus der deutschen Geschichte - das Grundgesetz zu einem anderen Herangehen verpflichtet!

Deutscher Rüstungsexport: Verbot mit Erlaubnisvorbehalt

Die Produktion und der Export von Kriegswaffen aus der Bundesrepublik Deutschland beruht auf Artikel 26 GG, Abs. 2: "Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz." Die Vorgabe des Grundgesetzes ist eindeutig. In Übereinstimmung mit der Verfassungsnorm der Präambel, "dem Frieden der Welt zu dienen", sind nicht nur der Export, sondern bereits die Herstellung von Kriegswaffen verboten, es sei denn die Regierung sieht sich veranlasst, eine entsprechende Erlaubnis vorab zu erteilen.

Entsprechend formuliert § 2 des Kriegswaffenkontrollgesetzes (KWKG): "(1) Wer Kriegswaffen herstellen will, bedarf der Genehmigung. (2) Wer die tatsächliche Gewalt über Kriegswaffen von einem anderen erwerben oder einem anderen überlassen will, bedarf der Genehmigung." Der Wortlaut des KWKG ("will") unterstreicht, dass Herstellung, Erwerb und Export von Kriegswaffen nur zulässig sind, wenn zuvor eine entsprechende Genehmigung erteilt worden ist. Vor dem Export steht die begründete Entscheidung über die Herstellung der Waffen. Im Unterschied zur Herstellung von Gütern mit einem doppelten (zivilen und militärischen) Verwendungszweck können weder Hersteller, Exporteure, Händler noch Empfänger von Kriegswaffen davon ausgehen, dass Geschäfte zwischen ihnen ohne vorherige Erlaubnis zulässig sind. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, nicht umgekehrt! Die Regierung muss belegen, warum eine bestimmte Lieferung politisch gewollt und angeraten ist. Die Realität sieht jedoch anders aus. Schrumpfende Waffenmärkte und harter Verdrängungswettbewerb nach dem Ende des Kalten Krieges bedrohen Kapazitäten in einem lukrativen Geschäft. Verteidigungspolitiker und Wehrtechnikhersteller warnen vor Verlusten in einer ganzen Reihe von "Fähigkeiten" der Bundesrepublik: Verteidigung, Einfluss, Wettbewerb, Kooperation, Technologie usw. Zunehmend werden auch beschäftigungspolitische Argumente bemüht, um die Ausfuhr von Rüstung zu begründen. Die Folge: während das Grundgesetz eigentlich das Vorhandensein einer politisch begründeten Nachfrage nach Kriegswaffen als Voraussetzung für deren Herstellung und Ausfuhr impliziert, erscheint in der Wirklichkeit nicht mehr die Genehmigung, sondern das Verbot als Ausnahme.

Angriffskrieg

Die Ursache hierfür liegt in einer Schwäche des Kriegswaffenkontrollgesetzes (KWKG), das in § 6 Abs. 3 explizit nur drei Sachverhalte benennt, bei deren Vorliegen "in jedem Fall" eine Genehmigung der Ausfuhr von Kriegswaffen zu versagen ist. Diese betreffen, erstens, die Gefahr, dass Kriegswaffen bei einer friedensstörenden Handlung, insbesondere bei einem Angriffskrieg verwendet werden, zweitens, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass die Erteilung der Genehmigung völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik verletzen oder deren Erfüllung gefährden würde und, drittens, wenn ferner Grund zu der Annahme besteht, dass Hersteller, Lieferant, Beförderer oder Empfänger die für die beabsichtigte Handlung erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzen. Die Formulierung "in jedem Fall" verweist aber nur auf den gravierenden Stellenwert der genannten Umstände, sie kann nicht als Freibrief für Genehmigungen in anderen Fällen interpretiert werden. Eine einklagbare Pflicht zur Genehmigung von Exportanträgen kann weder rechtlich noch politisch abgeleitet werden.

In den "Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern", verabschiedet durch den Bundessicherheitsrat am 28. 4. 1982, wurden drei Kriterien benannt, welche eine Erlaubnis im Sinne von Art. 26, Abs. 2 GG rechtfertigen und zugleich verwehren können, erstens, das Sicherheitsbedürfnis und das außenpolitische Interesse der Bundesrepublik Deutschland, zweitens, durch Begrenzung und Kontrolle der Ausfuhr von Rüstungsgütern einen Beitrag zur Sicherung des Friedens zu leisten und, drittens, die Berücksichtigung von Beschlüssen internationaler Institutionen, die Abrüstung und eine Beschränkung des internationalen Waffenhandels anstreben.

Auf der Grundlage von Art. 24 GG unterscheiden die Politischen Grundsätze von 1982 zwischen Genehmigungen bei Nato-Staaten und Nicht-Nato-Staaten. Für alle Nato-Staaten, und ihnen gleichgestellte Länder (z.B. USA, Japan und Australien) gilt danach, dass die Ausfuhr von Kriegswaffen zwar auch hier genehmigungspflichtig ist, jedoch - im Unterschied zu anderen Ländern - prinzipiell nicht einzuschränken sei, es sei denn, "aus besonderen politischen Gründen", die allerdings nicht konkretisiert werden. Der Streit um Waffenlieferungen in die Türkei macht deutlich, dass entweder eine Präzisierung der "besonderen politischen Gründe" erforderlich ist oder die Unterscheidung zwischen Nato-Staaten und Nicht-Nato-Staaten aufgehoben werden muss, um bei Genehmigungen differenzierte Entscheidungen zu ermöglichen.

Aber auch bei der Beschränkung von Ausfuhren in andere Länder lassen die Grundsätze von 1982 Fragen offen, da bestimmte Umstände die Ablehnung einer Genehmigung zwar begründen können, keineswegs aber zwingend gebieten. Genannt werden die Gefährdung außen- und sicherheitspolitischer Interessen der Bundesrepublik, eine Bedrohung für das friedliche Zusammenleben der Völker, Spannungen im Inneren des Empfängerlandes, eine drohende Erhöhung von Spannungen in Folge der Lieferung, die Gefahr des Ausbruchs bewaffneter Auseinandersetzungen, bestehende Unklarheit über den Endverbleib der Lieferung im Empfängerland oder in der Lieferregion, und die Verletzung formeller Liefervorschriften.

Bei der Ausfuhr von Kriegswaffen in Nato-Staaten oder ihnen gleichgestellte Länder wird deren Endverbleib beim Empfänger vorausgesetzt bzw. die politische Verantwortung an den Empfänger übertragen. Die Bundesregierung behält sich bisher vor, darauf "hinzuwirken", dass bei Re-Exporten aus diesen Staaten das schriftliche Einverständnis der Bundesrepublik Teil der Ausfuhrvereinbarung sein kann, ein Einspruchsrecht gegen entsprechende Handlungen des Empfängers impliziert dies jedoch nicht. Lieferungen z. B. eines Lizenznehmers in Spannungsgebiete sind letztlich nicht zu verhindern. Kriterien, die zur Verweigerung einer Genehmigung im Falle von Nato-Staaten führen können, werden nur für Kooperationsvorhaben genannt. Kooperation sei zu beschränken, wenn Empfängerländer in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder ein Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen unmittelbar bevorsteht, ferner, wenn unverzichtbare Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland oder Beziehungen zu Drittländern so gefährdet werden, dass selbst das eigene Interesse an der Kooperation und an der Aufrechterhaltung guter Beziehungen zum Kooperationspartner zurückstehen muss. Praktisch erweist sich die Durchsetzung solcher Beschränkungen als schwierig. So wurde parallel zum Leopard II ein Testmodell des in deutsch-französischer Kooperation entwickelten und hergestellten Kampfhubschraubers "Tiger" durch Frankreich an die Türkei geliefert, ohne dass der Bundessicherheitsrat in irgendeiner Weise mit dem Vorgang befasst war, obwohl gerade hier eine mögliche Nutzung für politische Verfolgung mit "geographischen Argumenten" kaum widerlegt werden kann.

Vorschläge

1. Die Debatte um Rüstungsexporte muss vom Kopf auf die Füße, d. h. auf den Boden des Grundgesetzes gestellt werden: Herstellung und Export von Kriegswaffen sind prinzipiell verboten, es sei denn, die Bundesregierung sieht sich durch zwingende Gründe zu einer entsprechenden Genehmigung veranlasst. Die Bundesregierung sollte - dem Beispiel Italiens folgend - bereits die Aufnahme von Verhandlungen zwischen Lieferanten und Empfängern unter Genehmigungsvorbehalt stellen, um eventuell nachfolgende Irritationen im In- und Ausland hinsichtlich der Verlässlichkeit der Geschäftsbeziehungen deutscher Lieferanten von vornherein auszuschließen.

2. Der spezielle Verwendungszweck von Kriegswaffen gebietet - in Übereinstimmung mit dem in Artikel 26 GG, Abs. 2 enthaltenen Verbot mit Erlaubnisvorbehalt für die Herstellung, Beförderung und die Ausfuhr von Rüstungsgütern - den besonders sorgsamen Umgang mit diesen Gütern und die sorgfältige Prüfung ihrer Endverwendung, da diese im Falle der Ausfuhr außerhalb der Rechtshoheit der Bundesrepublik liegt. Im Unterschied zur rechtlichen Verantwortung endet die politische Verantwortung nicht mit der Übertragung der Verfügungsgewalt. Insbesondere bei der Vergabe von Lizenzen muss die Sicherheits- und Exportpolitik des Empfängers als Prüfkriterium berücksichtigt werden, um jegliche Proliferation deutscher Rüstungstechnologie in Spannungsgebiete auszuschließen.

Dem Frieden dienen

3. Die Verfassungsnorm, "dem Frieden der Welt zu dienen", gilt auch für Artikel 24 GG, Abs. 2: "Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern." Der einschränkende Zusatz zur Übertragung von Hoheitsrechten unterstellt, dass sich im Falle einer Gefährdung der friedlichen und dauerhaften Ordnung in Europa und zwischen den Völkern, eine solche Übertragung verbietet, unbeschadet davon, ob diese an Mitglieder oder an Nichtmitglieder eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit erfolgt. Eine allgemeine Erlaubnis zur Lieferung von Rüstungsgütern an Nato-Verbündete erschließt sich insofern aus Art. 24 GG nicht. Sie könnte sogar in Widerspruch zur Verfassungsnorm der Präambel GG geraten. Die Möglichkeit, bestimmte Genehmigungsverfahren zu vereinfachen, bleibt davon unberührt, sofern sie mit dem Grundgesetz übereinstimmen.

4. Kriegswaffen - ähnliche Technologien, Lizenzen und Fertigungsunterlagen für deren Herstellung eingeschlossen - unterliegen wegen ihres besonderen Verwendungszwecks strengeren Beurteilungsmaßstäben als sonstige Güter. Der militärische Verwendungszweck von Kriegswaffen überlagert stets den durch sie erzielbaren finanziellen Tauschwert. In Übereinstimmung mit dem Grundgesetz ist bereits die Herstellung von Kriegswaffen nur zulässig, wenn deren Verwendung der Befriedigung legitimer Verteidigungserfordernisse der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Verbündeten und Partner und anderer Staaten, in voller Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen und anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen dient, gleichzeitig ein Beitrag zur Sicherung, des Erhaltes oder der Wiederherstellung des Friedens in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen und anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen geleistet wird und allen Handlungen, die sich im Widerspruch zur UN-Charta und anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen befinden, vorgebeugt wird. Wirtschaftliche, beschäftigungspolitische und andere Überlegungen sind nur gerechtfertigt, sofern sie einer solchen Verwendung entsprechen. Sie sind als nachrangig zu betrachten.

5. Nicht das Verbot der Herstellung, der Beförderung und des Exports von Kriegswaffen ist zu begründen, sondern Sachverhalte, die ausdrücklich für oder gegen eine entsprechende Genehmigung sprechen. Insofern sind, unabhängig vom Empfänger, Kriterien zu benennen, die eine Genehmigung zwingend ausschließen. Genehmigungen sollten ausgeschlossen bleiben, wenn

- der Empfänger/Endnutzer völkerrechtliche und internationale Verpflichtungen verletzt oder missachtet,

- der Empfänger/Endnutzer Grundfreiheiten, darunter im besonderen Menschen- und Minderheitenrechte, gewaltsam unterdrückt oder verletzt,

- die Einhaltung von rechtsstaatlichen Prinzipien, insbesondere das Prinzip der Gewaltfreiheit, durch den Empfänger/ Endnutzer in Frage steht,

- die Einhaltung von internationalen Verträgen, welche die Bundesrepublik Deutschland eingegangen ist, durch den Empfänger/Endnutzer nicht als gegeben erachtet werden kann,

- die innere Lage im Lande des Empfängers/Endnutzers durch gewaltsame politische Konflikte, insbesondere durch das Vorhandensein oder die Gefahr von bewaffneten Auseinandersetzungen, gekennzeichnet ist,

- durch den Empfänger/Endnutzer Handlungen zu erwarten sind (z. B. durch Weitergabe oder Re-Export von Kriegswaffen und kriegswaffenähnlichen Technologien), welche die Bundesrepublik in Widerspruch zu ihren völkerrechtlichen und internationalen Verpflichtungen setzen können,

- durch den Empfänger/Endnutzer eine Verwendung der gelieferten Kriegswaffen außerhalb der Erfordernisse legitimer Verteidigung und Sicherheit zu befürchten ist und

- der Erwerb von Kriegswaffen durch den Empfänger/Endnutzer nicht zwingend erkennbar Erfordernissen legitimer Verteidigung und Sicherheit entspricht und stattdessen durch deren Erwerb eine nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung für die Bevölkerung des Empfängerlandes erschwert oder gar verhindert wird.

Der politische Entscheidungsspielraum der Bundesregierung wird durch Erlaubnisgründe und -ausschlüsse eingegrenzt, die mit Blick auf Verwendung und Verwender zu prüfen sind. Für eine Genehmigung ausschlaggebend ist demnach nicht nur die Art der Endnutzung der Waffen, sondern zugleich immer auch die Verlässlichkeit des Endnutzers, in Übereinstimmung mit den genannten Kriterien zu handeln. Ist eine solche Verlässlichkeit nicht gewährleistet, verbietet sich der Export selbst dann, wenn der Empfänger partielle Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt. Sind die Umstände einer Erlaubnis strittig, sollte die Regierung bedacht sein, über eine breite parlamentarische Legitimation zu verfügen, da sich Herstellung und Ausfuhr von Kriegswaffen zumeist über längere Zeiträume erstrecken. So könnte ein vertraulich tagender Ausschuss des Parlaments gebildet werden, der in geeigneter Weise zur Sondierung der Umstände im Vorfeld einer politischen Entscheidung beiträgt.

Die Harmonisierung der Rüstungsexportpolitik im Rahmen der Europäischen Union

Zum wiederholten Stein des Anstoßes wurde in den zurückliegenden Jahren, dass eine restriktive Handhabung der Ausfuhr von Kriegswaffen nicht von allen EU-Staaten unterstützt wird. Das Dilemma wird sich noch verstärken, wenn in einer zusammenwachsenden Gemeinschaft wichtige Entscheidungen zur Herstellung und Ausfuhr ausgerechnet von Waffen weiterhin in nationaler Zuständigkeit getroffen werden. Artikel 296 EGV in der Fassung des geänderten Vertrages über die Europäische Union über den Vorbehalt nationaler Bestimmungen legt fest:

(1) "Ein Mitgliedsstaat ist nicht verpflichtet, Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seines Erachtens seinen wesentlichen Sicherheitsinteressen widerspricht" und

(2) "jeder Mitgliedsstaat kann die Maßnahmen ergreifen, die seines Erachtens für die Wahrung seiner Sicherheitsinteressen erforderlich sind, soweit sie die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen; diese Maßnahmen dürfen auf dem Gemeinsamen Markt die Wettbewerbsbedingungen hinsichtlich der nicht eigens für militärische Zwecke bestimmten Waren nicht beeinträchtigen."

Hintergrund dieses Artikels bilden Sonderinteressen von Mitgliedsstaaten, die sich auf internationale Bindungen und Rechte (z. B. in der Eigenschaft als Mitglieder des UN-Sicherheitsrates), auf bilaterale Beistandsvereinbarungen mit Staaten außerhalb der EU sowie auf Sorgen vor feindlichen Übernahmeversuchen der nationalen Rüstungsindustrie durch konkurrierende Unternehmen anderer EU-Staaten gründen. Darüber hinaus betrachten einige EU-Staaten Rüstungsexporte weiterhin als legitimes Instrument zur Durchsetzung nationaler außenpolitischer und -wirtschaftlicher Ziele.

Wachsender Druck

Versuche der Bundesregierung, die restriktiven deutschen Kriterien der Ausfuhr von Kriegswaffen in Gemeinschaftsrecht zu überführen, sind am Widerstand vor allem Frankreichs und Großbritanniens gescheitert. Stattdessen sieht sich die Bundesregierung seit Jahren wachsendem Druck ausgesetzt, durch jene Staaten, welche Deutschland mangelnder Verlässlichkeit oder Kooperationsfähigkeit verdächtigen, aber auch durch deutsche Hersteller, die unter Hinweis auf ungleiche Exportregeln in der EU einseitige Wettbewerbsnachteile beklagen.

Angesichts des fehlenden Konsens blieben solche Klagen nicht ohne Wirkung. Obwohl stets betont wurde, dass eine "Harmonisierung auf europäischer Ebene" nicht zu Lösungen auf geringstem Nenner führen dürfen, stellt sich die Bilanz der Bundesregierung seit 1995 als geordneter Rückzug aus strengen nationalen Standards dar. 1996 wurde eine um zwei Drittel gekürzte Liste sogenannter "kritischer Empfängerländer" eingeführt, eine Entscheidung, die bei genauer Betrachtung den Verdacht nährt, dass einige solvente Käuferstaaten von Rüstungsgütern weniger "kritisch" behandelt werden sollten, als dies unter politischen Gesichtspunkten angeraten schien. Wie sonst war zu verstehen, dass ausgerechnet China, Taiwan, Indien, Pakistan oder Algerien in der neuen K-Liste nicht mehr aufgeführt wurden. Ferner wurde die Beteiligung an internationalen Kooperationen erleichtert, indem für bestimmte Wertmengen von Zulieferungen Beschränkungstatbestände ausgeklammert wurden. Schließlich wurden die ASEAN-Staaten den Nato-Staaten "gleichgestellt", eine Entscheidung, die durch die neue Bundesregierung allerdings wieder revidiert wurde.

Die Fusionswelle auf dem europäischen Rüstungssektor macht den Anachronismus deutlich, der aus dem Widerspruch zwischen einer zusammenwachsenden Wirtschaft und exportpolitischen Alleingängen erwächst. Zwar existiert kein Binnenmarkt im Bereich der Rüstung. Durch internationale Fusionen entstehen jedoch Freiräume, restriktivere nationale Exportbestimmungen zu umgehen, wie das jüngste Beispiel Eurocopter belegt. Sechs Staaten, darunter Deutschland, haben 1998 die Absicht ("Letter of Intent") bekundet, zu gemeinsamen Regeln vor allem bei Kooperationsprojekten zu gelangen. Das Ergebnis soll in Kürze vorliegen. Dass das Problem dadurch gelöst wird, ist unwahrscheinlich, wenn die Lösung sich wiederum am kleinsten gemeinsamen Nenner orientiert. Es könnte die Lage sogar verschlechtern, wenn eine solche Lösung rechtsverbindlichen Charakter trägt und damit restriktivere nationale Regeln aushebelt.

Bei konventionellen Waffen ist der Konsens der EU auf gemeinsame Standpunkte und Erklärungen begrenzt. Selbst wenn diese - wie bei einer gemeinsamen Aktion nach Art. J.3 EU-Vertrag - eine Rechtsbindung implizieren, bleibt es den Mitgliedern gemäß Art. 296 EGV überlassen, in eigener Verantwortung und nach Maßgabe nationalen Rechts zu handeln. Wie sich zeigt, erfolgt dies je nach Rechts- und Interessenlage unterschiedlich. Daran hat auch der im Juni 1998 verabschiedete EU-Kodex für Rüstungsexporte wenig geändert, wie der am 28. 9. 1999 vorgelegte erste Bericht deutlich machte. Dänemark, Griechenland und Großbritannien verzichteten auf Angaben über den Wertumfang ihrer Ausfuhren. Griechenland, Irland, Luxemburg, Portugal und Schweden gaben keine Begründung zur Ablehnung von Exportanträgen und führten keine bilateralen Konsultationen mit Partnerländern durch. Ferner wurden im Bericht Unterschiede in der Auslegung und Anwendung von Embargobeschlüssen bemängelt. Die Liste der Probleme zur Harmonisierung, die der vom Europäischen Rat eingesetzten Arbeitsgruppe COARM vorliegt, ist unverändert lang.

Der EU-Kodex erweist sich, ähnlich den bereits 1993 von der OSZE verabschiedeten Prinzipien zur Regelung des Transfers konventioneller Waffen, als unverbindlicher Kanon politischer Absichten, wobei Zweifel besteht, ob alle Mitgliedsstaaten diese Absichten wirklich teilen. Dabei könnte der Kodex einer gemeinschaftlichen - oder wenigstens in nationaler Zuständigkeit einheitlichen - Beschränkung von Waffenausfuhren dienlich sein. Gefordert wird

- bestehende völkerrechtliche und internationale Verpflichtungen zu achten,

- die Einhaltung der Menschenrechte im Empfängerland zu berücksichtigen,

- die innere Lage im Empfängerland hinsichtlich des Vorhandenseins von Spannungen oder bewaffneten Konflikten zu prüfen,

- regionale Aspekte von Frieden, Sicherheit und Stabilität zu beachten,

- nationale Sicherheitsinteressen der EU-Mitglieder und ihrer befreundeten und verbündeten Partner in Rechnung zu stellen,

- das Verhalten des Empfängerstaates im Kontext der internationalen Gemeinschaft, insbesondere mit Blick auf Terrorismus, Allianzen und die Achtung internationalen Rechts zu beurteilen,

- die Möglichkeit einer Abgabe oder Weitergabe der gelieferten Ausrüstungen zu berücksichtigen und

- die wirtschaftliche und soziale Lage vor dem Hintergrund einer nachhaltigen Entwicklung zu berücksichtigen sowie zu prüfen, ob eine Lieferung von Rüstungsgütern diese Entwicklung erschweren oder verhindern könnte.

Die Konsequenzen sind bisher dürftig. Neben der vom Europäischen Rat am 17. 12. 1998 beschlossenen gemeinsamen Aktion zur Bekämpfung einer destabilisierenden Anhäufung von Kleinwaffen und leichten Waffen wäre das am 26. 6. 1997 beschlossene Programm zur Verhütung und Bekämpfung des unerlaubten Verkehrs konventioneller Waffen Prüfstein für Fortschritt. Allerdings kritisierte bereits der am 22. 11. 1999 vorgelegte zweite Bericht zum Programm erneut die mangelnde Koordination zwischen den EU-Mitgliedern.

Vorschläge

1. Der EU-Kodex ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung. Die unterschiedliche Kodifizierung der Normen in nationales Recht der Mitgliedsstaaten und die darauf gestützte differenzierte Ausfuhrpraxis schwächen jedoch seine Wirkung. Anreize zur Umgehung nationaler Beschränkungen werden dadurch erhöht. Auf keinen Fall sollte die Bundesregierung rechtsverbindliche Vereinbarungen (z.B. Letter of Intent) eingehen, die der Zielsetzung der Beschränkung von Rüstungsexporten, insbesondere bei Vorliegen von Gründen, die eine Genehmigung ausschließen, entgegenstehen können. Die Bundesregierung sollte sich ferner dafür einsetzen, dass - bei fortwährender Gültigkeit von Art. 296 EGV - die im EU-Kodex vereinbarten Kriterien in Form von Genehmigungsausschlüssen durch alle EU-Mitglieder auch für Kooperationsvorhaben in nationales Exportrecht über führt werden. Bei der anstehenden Regierungskonferenz sollte die Bundesregierung auf eine Abänderung von Art. 296 EGV dahingehend drängen, dass die Reichweite des Artikels auf bestimmte Sachverhalte (z. B. Übernahmeversuche) beschränkt wird oder dass der Artikel bei Entscheidungen mit Bezug zum EU-Kodex keine Anwendung findet.

2. Die Bundesregierung sollte auf die rasche Einigung über eine EU-Kriegswaffenliste drängen und sich parallel für die Einführung einer gemeinsamen EU-Liste kritischer Empfängerländer verwenden. Waffen sollten prinzipiell nur an Länder geliefert werden, welche die Kriterien des Kodex anerkennen und die sich darüber hinaus am UN-Waffenregister beteiligen.

In strittigen Fällen des Exports von Kooperationsprodukten sollten die Beteiligten aufgefordert werden, ausschließlich im Konsens zu entscheiden. Längerfristig - bei einer Revision von Artikel 296 EGV - könnte in solchen Fällen auch die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes geprüft werden.

Sanktionen

3. Unter allen Umständen ist zu erreichen, dass Produzenten, Lieferanten und Zwischenhändler von Rüstungsgütern, unabhängig vom Ort ihrer Niederlassung, gleichem Recht unterworfen werden. Sanktionen bei Verstößen gegen (nationales) Ausfuhrrecht müssen auf hohem Niveau angeglichen und schließlich vereinheitlicht werden.

4. In der Bundesrepublik sollte eine offene internationale Datenbank aufgebaut werden, welche auf der Grundlage der acht Kriterien des EU-Kodex gezielt Informationen über Käuferstaaten sammelt und bereithält, die im Vorfeld der politischen Entscheidung zur Beratung herangezogen werden können und die zugleich die Transparenz solcher Entscheidungen fördern. In diese Datenbank sollten die Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Tätigkeit von Nicht-Regierungsorganisationen vor Ort einfließen.