taz Nr. 6007 vom 3.12.1999 Seite 7 Was tun mit dem Asylrecht? Die Grünen haben bislang noch keine überzeugende Antwort darauf gegeben, warum eine Abschaffung des Grundrechts auf Asyl für sie undenkbar ist Von Eberhard Seidel Berlin (taz) - "Das Asylrecht lässt sich nicht halten", behauptete Bundesinnenminister Otto Schily vor einigen Wochen. Gleichzeitig regte er an, die Asylentscheidungen sollten sich künftig stärker an moralischen als an juristischen Maßstäben orientieren. Als würde das noch nicht ausreichen, setzte Schily noch einen drauf: 97 Prozent der Asylsuchenden seien "Wirtschaftsflüchtlinge" beziehungsweise "Armutsflüchtlinge", wie sich der SPD-Politiker wenig später korrigierte. Inzwischen haben alle, die sich verpflichtet fühlen, Schily widersprochen: die Ausländerbauftragten des Bundes und der Länder, die Kirchen, Flüchtlingsgruppen und Menschenrechtsorganisationen, die Grünen, aber auch Vertreter der FDP, SPD und der CDU. Und es war auch recht leicht, Schily nachzuweisen, wie uninformiert einzelne seiner Aussagen waren. Zum Beispiel, dass viele der abgelehnten Asylbewerber keineswegs Wirtschaftsflüchtlinge sind, sondern auf Grund der Genfer Flüchtlingskonvention Abschiebeschutz genießen - etwa weil sie Opfer nicht staatlicher Verfolgung sind, die aber in Artikel 16a Grundgesetz nicht als Asylgrund vorgesehen ist. Natürlich gehört zu diesem Spiel auch die Zustimmung. Die erhielt Schily ebenfalls hinreichend. Große Teile der CDU begrüßten den "Schwenk in der Asylpolitik". Der Geschäftsführer des deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, meinte, die Kommunen könnten "mit dem jetzigen Asylrecht sicherlich nicht leben". Sie würden durch Asylbewerber nicht nur finanziell belastet, "sondern auch mit Fragen der Unterbringung und der Integration". So weit, so berechenbar. Einzig die abgeklärten Reaktionen der Bündnisgrünen verwundern. Schließlich hat sich zumindest die Parteibasis bis heute nicht mit dem Asylkompromiss von 1993 abgefunden. Mit jenem Asylgrundrecht nach Artikel 16a des Grundgesetzes also, das nur noch ein Abklatsch des alten Grundrechts nach Artikel 16 ist, der die einklagbare Rechtssicherheit für Asylbewerber garantierte. Schilys Versuch, nun auch die Reste eines deutschen Sonderrechts zu schleifen, ist ein Angriff auf die grüne Seele. Ganz so, als würde Gerhard Schröder verkünden: Der Atomausstieg ist gescheitert, wir müssen uns nun auf den Bau neuer AKWs konzentrieren. Natürlich widersprechen Vertreter der Grünen Schily routiniert und stellen klar: Eine Abschaffung des Artikels 16a und damit des individuell einklagbaren Rechts auf Asyl ist mit uns nicht machbar. Und in den letzten Wochen setzten sie sich glaubwürdig dafür ein, minderjährige Flüchtlinge aus dem umstrittenen Flughafenverfahren herauszunehmen. Vehement drängen sie auf die Durchsetzung der Gültigkeit der Kinderschutzkonvention auch für minderjährige Flüchtlinge. Und engagiert kritisierten sie die kürzlich von der Innenministerkonferenz verabschiedete Altfallregelung als mangelhaft und zu kleinlich. "Wir nehmen das nicht so ernst; eine Änderung des Asylrechts steht in dieser Legislaturperiode nicht zur Debatte", begründet man im Umfeld der Bundesausländerbeauftragten Marieluise Beck die Gelassenheit auf Schilys Tabubrüche. Und würde sie gerne als neu gewonnene Souveränität verkaufen. Nach den Konflikten mit dem Koalitionspartner um die Terminierung des Atomausstiegs, den Doppelpass und die Lieferung eines Testpanzers an die Türkei lautet die Botschaft: Von so einem wie Schily lassen wir uns nicht provozieren. Die Diskussion sei einzig und allein Schilys Geltungsbedürfnis geschuldet, ist von grünen Gesprächspartnern zu hören. Wirklich? Der innenpolitische Sprecher der Grünen und Oberrealo, Cem Özdemir, ansonsten mit Erklärungen, Kritik und Stellungnahmen recht schnell bei der Hand, übt gegenüber seinem Freund Otto Schily Zurückhaltung. Auch dies ein Zeichen von Gelassenheit? Oder doch eines von größerer inhaltlicher Nähe, als Özdemir mit Rücksicht auf die Parteibasis öffentlich eingestehen möchte? Bereits im Juli 1998, lange vor den Koalitionsverhandlungen, verkündete Özdemir gemeinsam mit Rezzo Schlauch in vorauseilendem Gehorsam, dass man auch im Falle einer Regierungsbeteiligung die 1993 beschlossene Einschränkung des Grundrechts auf Asyl nicht mehr rückgängig machen will. Warum - hat man dem verstümmelten Asylrecht erst einmal zugestimmt - eine, wie von Schily geforderte, vollständige Abschaffung des Artikel 16a tatsächlich undenkbar sein soll, darauf haben die Grünen bislang keine überzeugende Antwort geliefert. Zumal wenn gleichzeitig sichergestellt ist, dass die Genfer Flüchtlingskonvention die Grundlage einer gemeinsamen europäischen Asylpolitik ist. In informellen Gesprächen räumen ausländerpolitische Experten der Grünen ein, dass die wahrscheinlichen Szenarien der Zukunft ganz anders aussehen werden als die augenblicklich von ihnen vertretene Position "Finger weg vom deutschen Asylrecht". Nur laut darüber nachdenken, dass Artikel 16a des Grundgesetzes, das individuell einklagbare Recht auf politisches Asyl, tatsächlich entbehrlich ist, das traut sich derzeit niemand. |