Tagesspiegel, 3.12.99 Aydin inszeniert sein Bauprojekt für Erdbebenopfer Doch viele der Wohncontainer werden nicht rechtzeitig fertig oder sind zu entlegen aufgebaut Susanne Güsten "Das dauert noch mindestens einen Monat hier", sagt ein Bauarbeiter, der mit seinen Gummistiefeln knöcheltief im Schlamm zwischen halbfertigen Wohncontainern steht. Fenster und Türen fehlen noch, zugänglich sind die Häuschen nur mit Bretterbrücken über den Matsch. Dennoch befindet sich der türkische Bauminister Koray Aydin derzeit auf einer "Siegestournee" durch die Katastrophenregion, wie die Zeitung "Radikal" bissig kommentierte: Die Regierung in Ankara will ihr Versprechen erfüllt haben, bis zum 30. November im Nordwesten der Türkei rund 40 000 Wohncontainer für die Überlebenden der großen Erdbeben errichtet zu haben, wie Aydin bei einer feierlichen Schlüsselübergabe nach der anderen betont. Doch viele dieser Wohncontainer sind nur halb fertig, von anderen fehlt überhaupt jede Spur, und wieder andere sind so entlegen, dass kein Mensch dort hausen will. Viele Bewohner der Region haben die Hoffnung inzwischen aufgegeben und wollen nur noch fort. Irgendetwas stimme mit den Zahlen der Regierung nicht, meinen auch die türkischen Zeitungen und rechnen vor: Danach ergeben die Angaben der einzelnen Provinzen über die Zahl der dort fertiggestellten Container zusammengenommen nicht einmal die Hälfte der von Ankara veröffentlichten Zahl. Über den Grund für diese Abweichung streiten sich der Minister und die Presse. "Der Staat hat sein Wort gehalten und die Wohncontainer gebaut. Das Volk ist zufrieden. Nur einige Presseorgane schreien herum", sagte Aydin. Die Zeitungen weisen dagegen darauf hin, dass der Minister offenbar andere Vorstellungen von einer bewohnbaren Behausung habe als der Rest der Welt. Kein Strom, kein Wasser, keine Inneneinrichtungen und manchmal nicht einmal ein Dach - für den Bauminister seien das wohl Kleinigkeiten, die nicht zählten. Doch selbst wenn die Ausstattung einmal stimmt, zeigen sich oft Fehler in der Planung. In einer Containerstadt bei der Ortschaft Hendek veranstaltete Aydin in dieser Woche bereits die zweite Schlüsselübergabe; die designierten Bewohner hatten ihre Schlüssel nach der ersten Zeremonie vor einigen Wochen wieder zurückgeben müssen, weil die Häuschen noch nicht bewohnbar waren. Nun erwies sich aber, dass ohnehin kaum ein Obdachloser dort wohnen will, weil das Lager vier Kilometer vom nächsten Ort entfernt ist und die Bewohner keine Transportgelegenheit zu ihren Arbeitsplätzen, zu Ämtern und zu Geschäften haben. "Wenn Gott will, werden sie schon kommen", bemerkte Aydin. Die Bewohner der Katastrophenregion sehen die Lage weniger stoisch. So blockierten Obdachlose in dieser Woche die Straße nach Bolu, als Aydin dort zu einer weiteren Schlüsselzeremonie anreiste. Die Demonstranten waren auf Geheiß des Krisenstabes gerade aus den Hotels geworfen worden, in denen sie nach dem Beben einquartiert worden waren. Begründung: Es gebe nun ja genug anderweitigen Wohnraum. Die Blockade wurde von Soldaten aufgelöst; immerhin setzten die Blockierer aber eine verlängerte Duldung in den Hotels durch. Viele Menschen haben angesichts des Fiaskos mit den Fertigbauten aber alle Hoffnung aufgegeben, in ihrer angestammten Region bleiben zu können. Täglich wachsen die Wartelisten für die Evakuierung in den Süden, mit der die Behörden vergangene Woche begonnen haben. Rund 1500 Menschen wurden bereits per Bus nach Mersin, Mugla und Aydin an den südlichen Küsten der Türkei gebracht, wo das Klima milder ist; Tausende warten noch. |