Tagesspiegel, 4.12.99 EU-Kandidatenstatus für Türkei? Schröder für raschen Beitritt - Regierung und Union streiten über Erweiterung der Europäischen Union Die Bundesregierung will, dass der Türkei bald der Status eines Beitrittskandidaten zur Europäischen Union verliehen wird. Dazu müsse sie jedoch die politischen Kriterien wie die Einhaltung der Menschenrechte sowie eine stabile, rechtsstaatliche Ordnung erfüllen, betonte Bundeskanzler Schröder am Freitag in seiner Regierungserklärung zum bevorstehenden EU-Gipfel in Helsinki. Schröder sprach sich auch dafür aus, in Helsinki die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit fünf weiteren Staaten zu beschließen. Er sagte, die Bundesregierung werde sich dafür einsetzen, dass der EU-Gipfel die Aufnahme von Verhandlungen mit Lettland, Litauen, der Slowakei, Bulgarien und Rumänien beschließe. Die Opposition warnte hingegen vor einer zu schnellen Erweiterung und verlangten die Klärung von Zuständigkeiten im künftigen Europa. Sie kritisierte, der Einigungsprozess gehe unter der rot-grünen Regierung nicht rasch genug voran. Die Euro-Schwäche sei kein gutes Zeichen. Europa könne nur erfolgreich sein, wenn es in den Köpfen und Herzen der Menschen verankert sei. FDP und CDU/CSU machten in der Debatte die Bundesregierung für die aktuelle Schwäche des Euro verantwortlich. Schuld daran sei der politische Zickzackkurs der Bundesregierung, kritisierte CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender Schäuble. Das verursache Schwächen auf den internationalen Märkten. Ähnlich äußerte sich der frühere FDP-Bundeswirtschaftsminister Haussmann. Neben den Beschlüssen zur Erweiterung soll die Europäische Union auf ihrem Gipfel kommende Woche nach den Vorstellungen der Bundesregierung vor allem ein wirksames militärisches Krisenmanagement entwickeln. Bundeskanzler Schröder kündigte an, dass auf dem Treffen die Grundlagen für die weitere Ausgestaltung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik verabschiedet werden sollen. Scharf kritisierten Schröder und Schäuble die Weigerung Großbritanniens, einer EU-Regelung zur Zinsbesteuerung zuzustimmen. Er hoffe, "dass Großbritannien sich in dieser Frage entscheidend bewegt", sagte der Kanzler. Die Blockadepolitik Großbritanniens in diesem Punkt schade nicht nur Europa, sondern längerfristig auch den eigenen nationalen Zielen. Schäuble forderte Schröder auf, einen nationalen Alleingang zu erwägen, sollte sich Großbritannien nicht bewegen. Die britische Regierung hat am Freitag die Kritik am britischen Nein zur Besteuerung von Kapitaleinkünften zurückgewiesen. Ein Regierungssprecher erklärte, Premierminister Tony Blair werde sich keinem Druck beugen und weiter gegen die Besteuerung von Kapitalvermögen sein. Trotz aller Kritik wünschte Schäuble im Parlament Bundeskanzler Schröder Erfolg beim Gipfel. "Das Beste, was wir in das neue Jahrhundert mitnehmen, ist die europäische Einigung", sagte der Oppositionspolitiker. Die Erweiterung werde jedoch für die Kandidaten und die EU große Übergangsschwierigkeiten mit sich bringen. Er sei sich mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber einig, dass die Bürger verstärkt in den Einigungsprozess einbezogen werden müssten. "Europa muss stark sein, aber es muss nicht alles machen", sagte Schäuble weiter. Daher sei die Kompetenzfrage zu klären. |