Berliner Zeitung, 4.12.99 Verhandlungen mit europäischer Perspektive Die EU-Zukunft der Türkei hängt von Griechenland ab Christian Gonsa ATHEN, 3. Dezember. Am Freitag haben in New York neue, indirekte Verhandlungen über die Zypern-Frage begonnen. Die Aufnahme dieser Gespräche ist ein Signal für den EU-Gipfel, der am 10. und 11. Dezember in Helsinki stattfindet. Denn die beiden Konfliktparteien - Griechenland und die Türkei - spielen für die EU eine wichtige Rolle. Zum einen steht in Helsinki eine Aufwertung der Türkei zum EU-Kandidaten am Programm. Den "Schlüssel" dazu aber hält, wie Frankreichs Präsident Jacques Chirac den Türken in Istanbul erklärte, Griechenland in Händen. Griechenland hat eine Reihe offener Rechnungen mit dem Nachbarn in der Ägäis. Die umstrittene Grenzziehung in der Ägäis und das seit 25 Jahren geteilte Zypern sind die größten Probleme. Deshalb gibt es für die Türkei ohne Einigung mit Griechenland keine europäische Perspektive. Athen hat den Weg der Türkei in die Union bisher blockiert. Annäherung nach den Erdbeben Diesen Sommer allerdings riss der neue Außenminister Giorgos Papandreou das Ruder herum und sprach mit einem Mal davon, dass sein Land die "Lokomotive" spielen werde, die die Türkei in die EU führt. Erstmals seit Jahren sprach man wieder offiziell miteinander. Plötzlich brach, verstärkt durch die gegenseitige Hilfe bei den verheerenden Erdbeben der letzten Monate, ein Tauwetter an. Das Kalkül der Griechen hinter diesem Sinneswandel: Die Einbindung der Türkei in die europäischen Mechanismen würde die griechische Verhandlungsposition stärken. Denn im Forderungskatalog, den die Union der Türkei in den Beitrittsverhandlungen präsentieren wird, wären die Anliegen Athens enthalten. Dieser Katalog ist Gegenstand des Feilschens im Vorfeld des Gipfels. Konkret wird über zwei Fragen verhandelt: die Verpflichtung der Türkei, in der Frage der Grenzziehung in der Ägäis den internationalen Gerichtshof in Den Haag anzurufen; eine Garantie für den Fortgang der EU-Beitrittsverhandlungen Zyperns unabhängig von der Lösung des Zypernproblems. Aber Athen fordert auch eine Geste des guten Willens von der Türkei, und zwar noch vor dem Gipfel in Helsinki. Eine derartige Geste könnte die Rückgabe eines Teils von Amochostos/Famagusta im türkisch besetzten Nordteil Zyperns sein, meinte Papandreou. Die Türkei hat zwar prinzipiell einen Fahrplan akzeptiert, im Übrigen aber nicht auf die griechischen Vorstöße reagiert. Für Ministerpräsident Bülent Ecevit ist die Kandidatur seines Landes nicht das Ergebnis, sondern die Voraussetzung für ein ernsthaftes griechisch-türkisches Tauwetter. Ecevit steht auf dem Standpunkt, es sei das "Recht" seines Landes, der EU beizutreten. Immerhin aber hat Ankara Rauf Denktasch, den Führer der türkischen Zyprioten, dazu überredet, der Einladung von UN-Generalsekretär Kofi Annan Folge zu leisten, unter dessen Schirmherrschaft die Verhandlungen in New York stehen. Innenpolitische Erwägungen Doch die Entscheidung in Helsinki ist trotzdem noch immer ungewiss. In den letzten Wochen hat Athen seine Gangart verschärft. Es droht wieder offen mit dem Veto. Dass Ministerpräsident Kostas Simitis so hoch pokert, hat innenpolitische Gründe. Das Jahr 2000 ist Wahljahr in Griechenland, und eine Regierung, die "nationale Interessen" verrät, bietet der Opposition Angriffsflächen. Ein Veto birgt innenpolitisch die geringsten Gefahren, die außenpolitischen Kosten dafür allerdings wären groß. Man würde nicht nur die EU-Länder, man würde auch die Supermacht USA vor den Kopf stoßen, die auf eine Aufnahme der Türkei drängt. Man würde international jegliche Glaubwürdigkeit verlieren; und das zu einem Zeitpunkt, zu dem die Aufnahme in die Eurozone noch nicht endgültig gesichert ist. Der Euro aber ist das Ziel Nummer eins für die Regierung in Athen. |