Mittelbayrische Zeizung, 6.12.99 Eiszeit zwischen Brüssel und Ankara? EU versucht griechisches Veto gegen Kandidatenstatus für die Türkei zu verhindern Von Claudia Kemmer, ap Wo die Europäische Union dereinst ihre geographischen Grenzen ziehen wird, steht noch in den Sternen. Konkret wird aber schon in den kommenden Jahren die Erweiterung um zwölf neue Mitglieder. Zur Vorbereitung des EU-Gipfels in Helsinki, auf dem die Entscheidung für die Aufnahme von Verhandlungen mit sechs weiteren Kandidatenländern fallen soll, beraten die EU-Außenminister heute in Brüssel letztmals ihre Aufnahmestrategie. Sie versuchen darüber hinaus auszuschließen, dass Griechenland in letzter Minute mit seinem Veto die offizielle Aufnahme der Türkei in den Kandidatenkreis verweigern könnte. Sollte die Zuerkennung des Kandidatenstatus für die Türkei - nach dem Luxemburger Beschluss von 1997 - ein zweites Mal misslingen, befürchten EU-Diplomaten den Ausbruch einer Eiszeit zwischen Brüssel und Ankara. Zwar sieht Schweden, das noch vor wenigen Monaten wegen der Menschenrechtslage in der Türkei schwerste Bedenken gegen die Zuerkennung des Kandidatenstatus hegte, diesen inzwischen als einen Hebel für innere Reformen am Bosporus. Doch Griechenland, dessen Annäherung an den türkischen Nachbarn nach dem verheerenden Erdbeben im August die Hoffnung auf einen EU-Konsens hinsichtlich Ankaras nährte, hat noch keine sichere Zusage für ein positives Votum gegeben. Vor allem in Anbetracht der bevorstehenden Parlamentswahlen erwartet die griechische Regierung von Ankara ein Zugeständnis. "Was auf dem Tisch liegt, reicht noch nicht", wurde die Situation in Delegationskreisen kommentiert. Büchse der Pandora bleibt zu Eine Lösung könnte möglicherweise die Zypernfrage einschließen. Eine EU-Mitgliedschaft Zyperns, das zur Gruppe der ersten sechs Erweiterungskandidaten gehört, wollte die Türkei bis jetzt verhindern, solange die Teilung der Insel nicht überwunden ist. Griechenland forderte indes immer, notfalls auch den griechischen Teil alleine aufzunehmen - was die EU nur mit Bauchgrimmen ertragen würde, will sie sich doch keinen griechisch-türkischen Nachbarschaftsstreit importieren. Stimmte die Türkei als Gegenleistung für den Kandidatenstatus nun einer Aufnahme des griechischen Teils Zyperns zu, wäre ein gordischer Knoten durchschlagen. Die Türkei selbst hat bislang wenig Entgegenkommen signalisiert, außer einer brieflichen Zusicherung zur Verbesserung der Menschenrechtslage. Ob Außenminister Ismail Cem die Einladung des EU-Gipfels zu einem Mittagessen der Staats- und Regierungschefs mit ihren Kollegen aus den Bewerberländern am kommenden Samstag annimmt, bleibt wohl so lange offen, bis die Entscheidung für oder gegen die Türkei gefallen ist. Was eine Ablehnung für das griechisch-türkische Tauwetter bedeuten würde, wagt sich bislang keiner auszumalen. Die reale Beitrittsperspektive für die Türkei - auch wenn die Aufnahme von Verhandlungen noch Jahre auf sich warten lassen wird - weckt Begehrlichkeiten bei anderen Drittstaaten. So ist die Ukraine dem Vernehmen nach unzufrieden, dass die EU ihr in ihrer neu ausgearbeiteten Kooperationsstrategie keine Aussichten auf Mitgliedschaft einräumt. EU-Kommissionspräsident Romano Prodi hat offenbar bereits erkannt, dass damit die Büchse der Pandora geöffnet würde. Er mahnte dem Vernehmen nach an, demnächst die Diskussion darüber zu beginnen, wo die Europäische Union einmal geographisch enden soll. Diese Debatte wird notwendig werden. Auch Moskau hat bereits laut darüber nachgedacht, einen Mitgliedschaftsantrag für die Europäische Union zu stellen. erarbeitet von Klein, Heinz |