Die Welt, 8.12.1999 Ankaras Schweigen irritiert die Griechen EU-Anwartschaft: Türkei verweigert Zugeständnisse Von Evangelos Antonaros Athen - Griechenland wird zwischen einem Ja und einem Nein hin- und hergerissen. Knapp 48 Stunden vor Beginn des EU-Gipfels in Helsinki hat die griechische Regierungsspitze ihre Haltung gegenüber dem von der Türkei angestrebten und von Athens 14 EU-Partnern befürworteten Status eines Beitrittskandidaten noch nicht endgültig definiert. "Es sind noch wichtige Unterredungen im Gange, deren Ausgang im Endeffekt unsere Haltung beeinflussen wird", sagte Außenminister George Papandreou. Bereits zu einer frühen Phase hatte sich Athens sozialistischer Regierungschef Kostas Simitis für eine Anlehnung der Türkei an die EU ausgesprochen. Nach Angaben aus seiner Umgebung soll der engagierte Europäer der festen Überzeugung sein, dass eine prowestlich orientierte Türkei ein erheblich kleineres Risiko als ein mit dem Westen überverworfener Nachbar darstelle. Ähnlich lautet die vorherrschende Meinung in Athens Außenministerium. Die Weigerung der Türkei, im Umgang mit Griechenland "auch nur einige Gesten des guten Willens" zu zeigen, irritiert allerdings Athens Spitzenpolitiker. Im Rahmen der diskret stattfindenden Beratungen wollen die Griechen bei ihren EU-Partnern durchsetzen, dass sie den Türken als Gegenleistung für den Beitrittsstatus zwei Zusagen abverlangen: Erstens, dass Ankara einer Zypern-Regelung zustimmen und im Gleichschritt der von Zyperns griechischer Regierung angestrebter Aufnahme in die EU nicht im Wege stehen wird. Zweitens, soll die Türkei einer Regelung des zwischen Athen und Ankara bestehenden Streits über den Festlandsockel durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zustimmen. Ankara hat sich bisher geweigert, auf diese Vorbedingungen einzugehen, obwohl erst vor kurzem sogar US-Präsident Bill Clinton in diesem Sinne auf die türkische Staats- und Regierungsspitze eingeredet hatte. Nach Ankaras Auffassung dürfe der Türkei unter keinen Umständen die Erfüllung von zusätzlichen Auflagen aufgezwungen werden, die über die so genannten Kopenhagener Kriterien für alle Kandidaten hinausgehen würden. "Wir werden nie eine Diskriminierung akzeptieren", heißt es im Außenministerium. Den Griechen wird über diplomatische Kanäle und Drittländer ins Ohr geflüstert, Ankara könne es sich nicht leisten, unter Druck von außen Konzessionen zu machen. "Lasst uns Beitrittskandidat werden, und wir werden uns revanchieren", soll Ankaras Argumentation lauten. Aber Athen bleibt skeptisch. "Solche Absichtserklärungen sind ja äußerst unverbindlich", schrieb die Tageszeitung "Eleftherotypia". Hinzu kommt: Ankara scheint nicht mit einer Sprache zu reden. Während Außenminister Ismail Cem von einer "kaum zu bremsenden Eigendynamik" in den Beziehungen der beiden Nachbarn spricht, gibt es auch kritische Stimmen. Staatspräsident Süleyman Demirel glaubt, dass ein griechisches "Nein" die Annäherung zurückwerfen würde. Solche Äußerungen spiegeln die tief sitzende Unsicherheit wider, dass die Türkei wieder in letzter Minute vor der Tür gelassen werden könnte. Das ist gar nicht im Sinne von Simitis, der von seinen Landsleuten als Garant für außenpolitischen Ausgleich und innenpolitische Stabilität hoch geschätzt wird. Zu Recht muss er befürchten, dass ein griechisches Veto nicht nur Athens Beziehungen zu den EU-Partnern belasten, sondern auch eine neue Krise mit Ankara heraufbeschwören würde. Macht er jedoch ohne überzeugende Gegenleistungen den Weg für die Türkei frei, so muss er andere negative Auswirkungen in Erwägung ziehen. Neben Kritik aus den eigenen Reihen ist Simitis mit einer konservativen Opposition konfrontiert, die pausenlos auf die nationalistische und somit antitürkische Trommel einhaut - und das wenige Monate vor der nächsten Parlamentswahl.
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