Süddeutsche Zeitung, 9.12.1999 Diakonisches Werk kritisiert Altfallregelung "Maßlose Enttäuschung" über neues Bleiberecht Sozial schwache Asylbewerber haben das Nachsehen Von Christian Schneider München - Innenminister Günther Beckstein hat am Donnerstag eingeräumt, dass in Bayern unter die jüngste Altfallregelung für Asylbewerber weit weniger Personen fallen als zunächst erwartet. Nach einem Beschluss der Innenministerkonferenz vom November sollen Flüchtlingsfamilien, die vor dem 1. Juli 1993 eingereist sind, trotz eines ablehnenden Asylbescheids in Deutschland bleiben dürfen. Zunächst war das Innenministerium von "bis zu 700 Asylbewerbern" ausgegangen, die von dem neuen Bleiberecht Gebrauch machen können. Nun teilte die Behörde nach einer ersten Bestandsaufnahme mit, dass es "voraussichtlich weniger als 400 Personen" sein werden. Auch diese Zahl halten die Mitarbeiter des Diakonischen Werks in Augsburg noch für viel zu hoch gegriffen. In einem Gespräch mit dem Leiter der Asylstelle in der Schwabenmetropole hat die kirchliche Sozialorganisation ausgelotet, dass von etwa 2000 Asylbewerbern in Augsburg nur zwei bis vier Fälle für die Altfallregelung in Frage kommen. "Wir sind maßlos enttäuscht", sagt Diakonie-Mitarbeiter Matthias Schopf-Emrich. Schopf-Emrichs Dienststelle in Augsburg hat aus dem eigenen Klientenkreis einige Fallbeispiele zusammengestellt, die exemplarisch deutlich machen, wie eng die Innenminister von Bund und Ländern die neue Alltfallregelung gefasst haben: Die siebenköpfige Familie A. aus Pakistan lebt seit 1991 in Augsburg. Da sie schon lange vor dem 1. Juli 1993 in die Bundesrepublik eingereist ist, erfüllt sie die Stichtagsvoraussetzung für eine Altfallregelung. Der erste Asylantrag der Familie wurde jedoch ebenso abgelehnt wie spätere Folgeanträge. Wegen dieser Folgeanträge ist aber die Familie von der Altfallregelung ausgeschlossen. Eine dreiköpfige Familie aus Togo ist ebenfalls vor dem Stichtag 1. Juli 1993 eingereist. Trotzdem kommt sie für die Alltfallregelung nicht in Frage. Der Grund: Vor einem halben Jahr ist das Asylverfahren ergebnislos ausgelaufen. Daraufhin hat der Vater einen Asylfolgeantrag gestellt mit der Konsequenz, dass ihm die Arbeitserlaubnis entzogen worden ist. Wer aber arbeitslos und deswegen auf Sozialhilfe angewiesen ist, kommt für die Altfallregelung nicht in Frage. Eine vietnamesische Familie mit vier Personen hält sich bereits seit 1992 in Deutschland auf. Das Stichtagskriterium ist also erfüllt. Trotzdem greift die Altfallregelung nicht, weil das Ehepaar wegen der immer nur kurzfristig erteilten Aufenthaltsduldungen nur minder bezahlte Hilfs-Jobs bekommen hat mit der Folge, dass sie zuletzt auch auf ergänzende Sozialhilfe angewiesen war. Damit kommt auch diese Familie für die Altfallregelung nicht in Frage. Eine achtköpfige Familie aus Syrien lebt seit 1991 in der Bundesrepublik. Der Vater muss sich mit minder bezahlten Jobs zufrieden geben. Die Mutter kann nicht mit verdienen, weil sie sich daheim um vier noch schulpflichtige Kinder kümmern muss. Ohne "ergänzende Sozialhilfe" kommt die Familie nicht über die Runden. Damit kann sie die Altfallregelung nicht in Anspruch nehmen. Das Fazit des Diakonischen Werkes: "Der neuen Altfallregelung fehlt es an Großzügigkeit und an einer humanitären Perspektive. Sie benachteiligt vor allem die sozial Schwächeren, Alleinerziehende und kinderreiche Familien." Im Vergleich mit früheren Altfallregelungen sei die neue Bestimmung in einigen Punkten sogar noch härter ausgefallen. Dem hält das Innenministerium entgegen, nicht die angeblich schärferen Bestimmungen seien daran schuld, dass nur relativ Wenige unter die Altfallregelung fielen. Vielmehr zeigten sich Betroffene häufig nicht bereit, an der Passbeschaffung mitzuwirken. Dies sei jedoch eine wesentliche Voraussetzung für die Altfallregelung.
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