taz, 10.12.1999 Kein Club der Christen, beteuert jedenfalls Rot-Grün Die deutsche Regierung ist für die Aufnahme der Türkei in die EU. Aus vielen Gründen. Unter anderem, um die Demokratie zu befördern und den Deutschtürken zu gefallen Wir sind für einen Kandidatenstatus der Türkei ohne Wenn und Aber". Als Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) während des OSZE-Gipfels Mitte November in Istanbul die Gelegenheit nutzte, um vor der deutsch-türkischen Handelskammer seine Türkei-Politik zu erläutern, machte er klar, dass sich die deutsche Haltung im Unterschied zur Regierung Kohl geändert hat. "Wir wollen die Türkei dabei haben, die EU ist kein christlicher Club." Bei der rot-grünen Bundesregierung kommt ein Bündel von Motiven zusammen, um die Politik der Kohl-Regierung gegen eine türkische EU-Perspektive zu beenden. Da wären zum einen die 2,5 Millionen türkischen Einwanderer. Dazu kommt, dass man die westlich orientierten, demokratischen Kräfte des Landes stützen will. Und schließlich die ökonomischen und strategischen Überlegungen, in denen die Türkei als Brücke nach Zentralasien und als Puffer gegenüber den islamischen Staaten gebraucht wird. Vor allem Außenminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) hofft, dass durch die Kandidatur die innenpolitische Stagnation der Türkei überwunden werden kann. Mit seinen Amtskollegen, dem Griechen Georgios Papandreou und dem Türken Ismail Cem, ist er sich einig, dass die Zypernfrage und die anderen griechisch-türkischen Streitfragen erheblich leichter zu lösen sind, wenn die Türkei näher an die EU heranrückt. Fischers Südosteuropa-Politik ist aber vor allem durch die Erfahrungen auf dem Balkan geprägt. "Es ist für alle Beteiligten einfacher, humaner und billiger, Probleme dann zu lösen, wenn sie noch nicht zu heißen Konflikten eskaliert sind", sagte er bei seinem Besuch in Ankara im Sommer. Das gilt für die griechisch-türkischen Beziehungen, aber auch für die Stabilität in ganz Südosteuropa. Eine demokratischeTürkei würde eine langfristige Befriedung des Balkans sehr unterstützen. Jürgen Gottschlich, Istanbul
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