junge Welt, 11.12.1999 Türkei wird EU-Beitrittskandidatin Angebot zum Tag der Menschenrechte? Die Symbolik soll Hoffnung machen. Ausgerechnet am Tag der Menschenrechte gaben die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union ihre Entscheidung bekannt, der Türkei zum Status eines EU- Beitrittskandidaten zu verhelfen - ohne Ankara weitergehende Bedingungen dafür zu stellen. Auf der Gefängnisinsel Imrali sitzt derweil der zum Tode verurteilte PKK-Chef Abdullah Öcalan ein und wartet auf seine Hinrichtung. Erst am Mittwoch jährte sich für die Parlamentsabgeordnete Leyla Zana zum fünften Mal der Tag ihrer Verurteilung. Die unbequeme Stimme Kurdistans hatte bei ihrer Vereidigung im türkischen Parlament das kurdische Grün-Rot-Gelb im Haarband getragen und für ein geschwisterliches Zusammenleben der verschiedenen Völker in der Türkei unter demokratischen Bedingungen geworben. Zuviel für die Generäle und die mafiose Politikerkaste - sie ließen die kurdische Volksheldin hinter Gitter bringen. Tausende Kurden, türkische Linke und kritische Journalisten sitzen in den Kerkern. Im Umgang mit seinen Minderheiten und politischen Opponenten schwankt das Regime zwischen amerikanischer Waffenarroganz und europäischer Heuchelei. Eigenständig oder souverän agiert der Partner an der Südostflanke des NATO-Bündnisses nicht. Der Willkommensgruß aus Finnland bringt daher wenig Hoffnung für das Land selbst. Warum sollte ausgerechnet die Einhaltung der Menschenrechte nach Helsinki ins Zentrum der türkischen Politik rücken? Waffenlieferungen und Panzerdeals sind ebenso wie die politische Isolation und gelegentliche Zurückweisung Ankaras allemal geopolitischen Interessen geschuldet. Mit der jüngsten EU-Entscheidung soll die Einflußnahme auf den abhängigen Mann am Bosporus auf eine andere Ebene gehoben werden. Eine qualitative Veränderung der gegenseitigen Beziehungen bedeutet sie nicht. Das Regime bleibt williger Vollstrecker imperialer Politik, die Menschenrechte wehen weiter als Fähnchen im Wind. Rüdiger Göbel
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