Neue Züricher Zeitung, 11.12.1999 Euphorie in Istanbul nach dem EU-Entscheid Zusätzliche Schubkraft durch neue Wechselkurspolitik paz. Istanbul, 10. Dezember Die schon länger anhaltende Hausse an der Istanbuler Börse ist am Freitag zu einer eigentlichen Euphorie ausgeartet, denn die positiven Nachrichten jagten einander geradezu. Der ISE-100-Index legte um 10,94% zu und erreichte damit einen Höchststand von 11 467,84 Punkten. Auch das Handelsvolumen erreichte mit 615 Billionen Lira, rund 1,2 Mrd. $, ein Allzeithoch. Getrieben wurde der Kurssprung vom Bankensektor, der um 14,5% zulegte. Die Performance des Istanbuler Marktes beträgt in dieser Woche damit 22%. Bereits am Morgen schoss der Kurs um 8,68% nach oben, denn die am Donnerstag abend nach Börsenschluss bekanntgegebenen Veränderungen in der Wechselkurs- und Geldpolitik lassen das angestrebte Inflationsziel von 20% bis 25% für das nächste Jahr einiges realistischer erscheinen. Die Abwertung der Landeswährung wird neu an diese Inflationsvorgaben gekoppelt und nicht mehr wie bisher an die reelle Teuerung einer vorangehenden Periode (vgl. Bericht im Wirtschaftsteil). Dazu kamen positive Meldungen aus Washington, wonach das Exekutivkomitee des Internationalen Währungsfonds (IMF) Ende Dezember einen dreijährigen Beistandskredit an Ankara im Wert von 4 Mrd. $ sprechen wird. Das IMF-Management hiess das in Ankaras Letter of Intent festgeschriebene wirtschaftliche Programm am Donnerstag gut. Während der Handelspause über Mittag wurde bekannt, dass die Europäische Union (EU) an ihrem Gipfel in Helsinki beschlossen hatte, der Türkei den Status eines Beitrittskandidaten zu gewähren. Nach Wiederaufnahme des Handels stand der Hauptindex daher zeitweise satte 14% über dem Vortagesstand, wobei dieser bereits eine Hausse von rund 5% verzeichnet hatte. Der Sprung kam ungeachtet des Umstandes, dass der EU-Entscheid rein symbolischer Natur ist. Bei Börsenschluss waren weder die Bedingungen, die an den Kandidaten-Status geknüpft sein sollen, noch die Reaktion der türkischen Regierung bekannt. Für die reale Wirtschaft ist erfreulich, dass die Zinsen kontinuierlich fallen und damit sowohl der Staat als auch Unternehmen zu günstigeren Konditionen Geld aufnehmen können. Die Rendite der türkischen Staatspapiere sank auf rund 45%, gegenüber mehr als 50% am Vortag.
|