taz 11.12.1999 Die Türkei gehört zu uns Europa bekennt sich endlich zu seinen kulturellen Wurzeln Man kann es pathetisch sehen. Kurz vor Ablauf des Jahrhunderts, in dem Europa so blutig wie nie um seine politische Identität gerungen hat, legt es ein Bekenntnis ab: Die Türkei gehört zu uns. Ihr den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu verleihen, ist noch nicht der große Durchbruch. Aber: 76 Jahre nach Gründung der Republik, die Mustafa Kemal Atatürk nach Europa führen wollte, stößt seine Vision bei den Staats- und Regierungschefs der 15 EU-Staaten endlich auf Unterstützung. Vorbei also der heftig geführte, aber unsinnige Streit, ob Europa nun eine christliche Wertegemeinschaft ist, die ein so bevölkerungsreiches muslimisches Land wie die Türkei nicht vertragen kann. Europa fußte immer auf der christlich-jüdisch-muslimischen Kultur. Mit der Verleihung des Kandidatenstatus an die Türkei bekennt sich die EU auch zu ihren kulturellen und religiösen Wurzeln. Nachdem dies klargestellt ist, ist der weitere Verlauf einer möglichen Aufnahme der Türkei in die EU vor allem harte Arbeit. Die Türkei weiß, dass sie die Chance auf eine Vollmitgliedschaft nur dann hat, wenn sie neben den ökonomischen Voraussetzungen folgende "Kopenhagener Kriterien" erfüllt: Rechtsstaatlichkeit, die Achtung der Minderheiten und der Menschenrechte, stabile demokratische Institutionen und das Zurückdrängen der Militärs in die Kasernen. Wer nun meint, das schaffen die nie, der sei auf das Beispiel Spanien verwiesen. Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich dort nach fast vier Jahrzehnten faschistischer Herrschaft eine lebendige Demokratie. Nicht zuletzt dank der EU. Eberhard Seidel
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