Tagesspiegel, 11.12.1999 Krisensitzung statt Freudentanz - In Ankara sorgt die Zypern-Klausel im EU-Angebot für Unbehagen Susanne Güsten Als die Türkei Mitte November den lange erhofften Sprung zur Fußball-Europameisterschaft im Jahr 2000 schaffte, tanzte ganz Istanbul auf den Straßen. Doch als die Europäische Union (EU) am Freitag das von den Türken seit Jahrzehnten ersehnte Angebot unterbreitete, als Beitrittskandidat anerkannt zu werden, ging das Leben am Bosporus weiter, als wäre nichts geschehen. Selbst von jenen Politikern in Ankara, die in den vergangenen Jahren mit aller Macht versucht hatten, von den Europäern den Ritterschlag des Kandidatenstatus zu erhalten, war nichts zu hören und zu sehen. Denn der Text, der kurz nach Mittag vom EU-Gipfel in Ankara eintraf, enthielt aus türkischer Sicht einige Fußangeln, die eine sofortige Zustimmung unmöglich machten. Minister und Experten berieten fieberhaft darüber, ob der Vorschlag der EU akzeptabel sei: Krisensitzung statt Freudentänze. Mit viel Hoffnung hatte die Türkei dem Gipfel von Helsinki entgegen geblickt. Zwei Jahre nach der Abfuhr beim Gipfel von Luxemburg sollte in der finnischen Hauptstadt endlich der Durchbruch zum Kandidatenstatus gelingen. Doch schon vor dem Treffen hatten türkische Regierungsvertreter die Öffentlichkeit darauf vorbereitet, dass die Aufnahme des Landes in den Kreis der EU-Kandidaten möglicherweise an Bedingungen geknüpft werde. So kam es denn auch. Nach Informationen türkischer Fernsehsender enthielt das EU-Angebot an die Türkei nicht nur den erhofften Kandidatenstatus. Gleichzeitig stellte die Europäische Union demnach in dem Dokument auf Druck Griechenlands fest, dass der Beitrittsprozess der Republik Zypern auch ohne eine politische Lösung für die geteilte Mittelmeerinsel weitergehen solle. Mit der Zustimmung zu dieser Klausel würden die Türkei und die mit ihr verbündeten Insel-Türken ein wichtiges Druckmittel im Streit um die Zukunft Zyperns verlieren. Zudem soll die Europäische Union in ihrem Text festgehalten haben, dass die seit Jahrzehnten ungelösten Grenzstreitigkeiten zwischen der Türkei und Griechenland bis zum Jahr 2004 auf friedlichem Wege gelöst werden müssen. Mit diesem Text konfrontiert, verfielen die sonst recht auskunftsfreudigen türkischen Politiker am Freitag in tiefes Schweigen. "Es gibt Probleme", verlautete lediglich aus Regierungskreisen. Klarheit wurde erst von einer Sondersitzung des Kabinetts in den Abendstunden erwartet. Nachdem ein erster Textentwurf, den die Europäer schon am Vorabend des EU-Gipfels von Helsinki vertraulich nach Ankara gefaxt hatten, dort rundweg abgelehnt wurde, war der Ausgang offen.
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