Frankfurter Rundschau, 13.12.1999 Eine bewegte Nacht in Ankara Vor dem Ja-Wort der Türkei stand komplizierte Diplomatie Von Michael Bergius (Helsinki) Am Ende sprach in Helsinki nur noch einer: "Der Weg für die Vollmitgliedschaft der Türkei ist geebnet", leitete Ministerpräsident Bülent Ecevit am Samstagnachmittag eine Erklärung ein. Bevor Ecevit die Aufwertung der Türkei als Beitrittskandidat feiern konnte, verstrichen jedoch denkwürdige Stunden. Am Freitagnachmittag hatten die Gipfelteilnehmer den Türken in einem kunstvoll formulierten Kompromissentwurf vermittelt, mit der von ihnen bislang beklagten Diskriminierung gegenüber den anderen zwölf EU-Anwärterstaaten sei jetzt Schluss. Um jedoch Empfindsamkeiten Athens auszuräumen, wurde Ankara daneben sanft aufgefordert, territoriale "Streitfälle" auf dem Weg des Dialogs zu lösen, sich in der Zypern-Frage kooperativ zu verhalten und daheim mehr für die Einhaltung von Menschenrechten zu tun. Kaum war die Erklärung angenommen und Ecevit zugefaxt worden, wurden die Regierungschefs durch alarmierende Reaktionen aufgeschreckt: "Vorbedingungen" wie eine Unterwerfung unter die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs von Den Haag oder eine Lösung des Zypern-Problems seien für die Türkei "inakzeptabel", hieß es aus Ankara. Auch ein auf diese Bedenken eingehendes "Erklärungsschreiben" des finnischen Premiers Paavo Lipponen zeigte keine Wirkung. Der für Samstag geplante Besuch Ecevits in Helsinki drohte zu platzen. In einer von Teilnehmern später als "hektisch" bezeichneten Aussprache schlug Bundeskanzler Gerhard Schröder daraufhin vor, eine hochkarätig besetzte Delegation nach Ankara zu schicken. Die Wahl fiel auf den Hohen Beauftragten für die EU-Außenbeziehungen, Javier Solana, und Erweiterungskommissar Günter Verheugen. "Verhandelt" werde mit den Türken nicht mehr, wurde in Helsinki verkündet; die nächtliche Visite diene ausschließlich der "Erläuterung". Offenbar war das Vertrauen in die Erklärungskünste der beiden Emissäre nicht grenzenlos. Lipponen, so wurde berichtet, griff zum Telefon und bat keinen geringeren als Bill Clinton um Amtshilfe. Ecevit bestätigte später, der US-Präsident habe noch in der Nacht angerufen und ihn ermuntert, die Offerte der Regierungschefs anzunehmen: "Clinton hat mir erklärt, der Beschluss (der EU) müsse als ein Sieg für die Türkei erachtet werden." Ecevit pries in Helsinki ausführlich die von seiner Regierung seit Jahresbeginn eingeleiteten Reformen. Bei den Menschenrechten gebe es noch "bestimmte Unzulänglichkeiten", räumte er ein; das "so genannte Kurden-Problem" werde seinem Land aber "von außen aufgedrückt". In der EU gebe es "einige", die glaubten, dass bis zu einem Beitritt der Türkei noch "viele Jahre" vergehen müssten, gab der Gast aus Ankara durchaus treffend ein Stimmungsbild in der finnischen Hauptstadt wieder. Er sei sich jedoch sicher, dass sein Land "dieses Ziel in einer weitaus kürzeren Zeitspanne" verwirklichen werde. Diese letzte Prognose konnte unwidersprochen bleiben, denn als Ecevit sie traf, hatten ihm die 15 Staats- und Regierungschefs bereits längst die Bühne von Helsinki allein überlassen.
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