Berliner Zeitung, 13.12.1999 Noch weit von der Aufnahme in die Union entfernt Bettina Vestring HELSINKI, 12. Dezember. Noch ist die Türkei weit davon entfernt, die Bedingungen für eine Aufnahme in die Europäische Union zu erfüllen. Seit 1998 prüft die EU-Kommission jedes Jahr, welche Fortschritte das Land bei den wirtschaftlichen und politischen Reformen gemacht hat. Das Urteil fällt klar aus: Auf der politischen Seite zeigten sich "Schwachstellen bei den staatlichen Institutionen, anhaltende Menschenrechtsverletzungen und große Mängel beim Umgang mit den Minderheiten", heißt es in dem jüngsten Bericht, den EU-Kommissar Günter Verheugen im Oktober vorlegte. "Auch die mangelnde zivile Kontrolle der Streitkräfte gibt Anlass zur Sorge." Berichte über Folter Gewisse Fortschritte habe es bei der Bekämpfung der Korruption in der Polizei und dem übrigen öffentlichen Dienst gegeben. Im vergangenen Jahr seien 399 Polizisten wegen Bestechlichkeit entlassen worden. Auch seien die Gesetze gegen die Folterung von Gefangenen verschärft worden. Trotzdem berichteten internationale Organisationen immer wieder davon, dass Häftlinge im Polizeigewahrsam gefoltert und getötet würden. "Es wird nicht systematisch gefoltert, aber Folterungen kommen immer wieder vor", heißt es in dem Bericht. Besorgt äußerte sich die EU-Kommission auch über die Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit. Seit der Verhaftung von PKK-Chef Abdullah Öcalan im März 1999 habe sich die Lage sogar noch verschlechtert. Zahlreiche Journalisten und Bürgerrechtler würden eingesperrt, weil sie die Kurdenpolitik Ankaras kritisierten. Als positiv erkannte die EU-Kommission an, dass die türkische Regierung eine Teil-Amnestie für kurdische Separatisten verabschiedet hat. Die Regierung habe im März 1999 auch angekündigt, sie werde die Wirtschaft in Südost-Anatolien mit einem Zusatzprogramm von 100 Millionen Dollar unterstützen. Trotzdem müsse man feststellen, dass in sechs Provinzen dort immer noch Notstandsgesetze gälten. Immerhin überlege die türkische Regierung inzwischen, die Todesstrafe abzuschaffen. Wirtschaftlich fällt das Urteil der EU-Kommission über die Türkei weit positiver aus. Die Türkei sei in weiten Teilen als funktionierende Marktwirtschaft zu betrachten und weise ein beträchtliches Wachstumspotential auf. Trotzdem seien noch zusätzliche Anstrengungen notwendig, bevor Ankara die wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft erfülle.
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