Tagesspiegel, 13.12.1999 Die Außenminister Cem und Papandreou glauben an die Aussöhnung zwischen Türken und Griechen Gerd Höhler Die beiden Männer können miteinander, und sie machen keinen Hehl daraus. Sie überhäufen einander öffentlich mit Komplimenten: Jorgos Papandreou und Ismail Cem, Außenminister der zerstrittenen Nachbarstaaten Griechenland und Türkei. Es sind "(Fast) Zwei Freunde", wie die Athener Zeitung "To Vima" jetzt schrieb. Ohne sie wäre es wohl kaum gelungen, den EU-Kandidatenstatus für die Türkei unter Dach und Fach zu bringen. Von Versöhnung will dagegen der Führer der türkischen Volksgruppe auf Zypern, Rauf Denktasch, gar nichts wissen. Er sagte in New York, auf Grund griechischer Erpressung hätte die EU die falsche Entscheidung getroffen. Demgegenüber wiederholte der (griechische) Präsident Zyperns, Glavkos Klerides, Einladung an die türkische Gemeinschaft der Insel, in einer zyprischen Delegation bei den Beitrittsverhandlungen mit der EU mitzuwirken. Dies wiederum wies Denktasch umgehend zurück: "Wir sind keine Gemeinschaft, sondern der türkisch-zyprische Staat." Schon drei Tage vor dem Helsinki-Gipfel hatte Jorgos Papandreou erklärt, wenn es zu einer Einigung über die türkische Kandidatur käme, dann sei das ganz wesentlich seinem Kollegen Cem zu verdanken. Der gab die Schmeichelei artig zurück und lobte die "enge und gute Zusammenarbeit" mit dem Griechen. Nicht nur vor Kameras und Mikrofonen demonstrieren die beiden Minister Harmonie. In den vergangenen Wochen haben sie fast täglich miteinander telefoniert, mitunter mehrmals. Die Nummern der persönlichen Mobiltelefone sind beiderseits längst eingespeichert. Schon vor elf Jahren vereinbarten die damaligen Ministerpräsidenten Turgut Özal und Andreas Papandreou die Installierung "Roter Telefone" in den beiden Regierungszentralen, um Krisen besser managen zu können. Daraus ist nie etwas geworden. Cem und Jorgos Papandreou aber haben ohne großes Aufsehen ihren eigenen "Heißen Draht" geschaltet. Im Naturell sind sie sich ähnlich. Als nüchterne Pragmatiker kennen sie die Vorbehalte und Widerstände, die einer Annäherung ihrer beiden Völker entgegenstehen. Dennoch glauben sie an die Möglichkeit einer Aussöhnung, und daran arbeiten sie. Die beiden gehen fair und ehrlich miteinander um. Während der zurückliegenden Monate hat sich zwischen ihnen ein echtes persönliches Vertrauensverhältnis entwickelt. Dazu gehört auch, dass man offen über die Grenzen spricht, auf die der von beiden vorangetriebene Annäherungsprozess innenpolitisch stoßen könnte. Vor allem Cem hat es mit einer delikaten Konstellation zu tun. Er muss nicht nur auf zwei schwierige Koalitionspartner und die Empfindlichkeiten des Militärs Rücksicht nehmen, auch das Verhältnis zu Ministerpräsident Bülent Ecevit, dessen Partei der Demokratischen Linken (DSP) Cem angehört, ist nicht besonders herzlich. Ecevit gilt als Euro-Skeptiker und als "Falke" im bilateralen Verhältnis zu Griechenland. Cem stimmt sich nicht nur mit seinem Premier ab. Ihm werden auch direkte Drähte zum Staatspräsidenten Süleyman Demirel und, wichtiger noch, Generalstabschef Hüseyin Kivrikoglu nachgesagt. In der DSP war bisher Cem ein Außenseiter. Mit dem Erfolg in Helsinki aber hat sich der frühere Journalist als Anwärter auf höhere politische Ämter ins Gespräch gebracht. In Ankara meinte ein Beobachter vergangene Woche, der Verlauf des EU-Gipfels werde darüber entscheiden, ob der 59-jährige Cem "eines Tages türkischer Ministerpräsident wird oder als Sternschnuppe in der Ägäis verlischt". Auch die politischen Aktien des Jorgos Papandreou sind nun stark gestiegen. Als Architekt der griechisch-türkischen Annäherung ist der 47-jährige ganz aus dem Schatten seines vor drei Jahren gestorbenen Vaters getreten, des kontroversen früheren Sozialistenchefs und Ministerpräsidenten Andreas Papandreou. "Jorgakis", den "kleinen Jorgos", nennen ihn viele Griechen, in Anspielung auf seinen Großvater Jorgos Papandreou, der Griechenland Anfang der sechziger Jahre regierte. Der in den USA geborene und aufgewachsene jüngste Spross der Politiker-Dynastie kam 1981 in die Politik. Doch ihn als politischen Erben seines Vaters Andreas zu sehen, wäre falsch. Dessen populistische Neigungen und demagogischen Fähigkeiten hat er nicht geerbt. Große Gesten und Worte sind seine Sache nicht. Jorgos Papandreou gewinnt seine Gesprächspartner mit Ernsthaftigkeit, Offenheit und natürlichem Charme. Vor wenigen Jahren galt er vielen als ein eher blasser Politiker. Kaum jemals fiel sein Name, wenn über die Nachfolge des heutigen sozialistischen Partei- und Regierungschefs Kostas Simitis spekuliert wurde. Das hat sich spätestens seit Helsinki geändert.
|