HANDELSBLATT, 13.12.1999 EU eröffnet Ankara konkrete Beitrittsperspektive - Gipfel stellt Weichen für Reformen Ecevit will die Türkei rasch in die Europäische Union führen Die EU hat den Kreis der Beitrittskandidaten um sieben auf 13 Staaten erweitert. Mit sechs Ländern will die EU im nächsten Jahr Verhandlungen aufnehmen. Der Türkei wurde kein Datum genannt. jh/wff/HB HELSINKI. Mit der Anerkennung der Türkei als EU-Beitrittskandidat und der Ausweitung des Bewerberkreises geht die Europäische Union ins neue Jahrtausend. Nach den Beschlüssen des EU-Gipfels in Helsinki kann die Gemeinschaft schon bis 2010 von jetzt 15 auf bis zu 28 Mitglieder wachsen. Bis Ende 2002 will sich die EU durch tief greifende Reformen in die Lage versetzen, die beträchtliche Zahl neuer Mitglieder verkraften zu können. So sollen Größe und Zusammensetzung der EU-Kommission und die Stimmengewichtung im Rat verändert werden. Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach nach Abschluss des Treffens von einem "wirklich historischen Gipfel" mit einem "großartigen Ergebnis". Die Türkei will möglichst schnell Mitglied der Europäischen Union werden. Ankaras Regierungschef Bülent Ecevit sagte nach einem Treffen mit den Staats- und Regierungschefs der EU, das Beitrittsdatum werde "deutlich vor den Erwartungen" der meisten EU-Staaten liegen. EU-Politiker sprachen dagegen von einem langen Weg, den die Türkei vor einer EU-Integration gehen müsse. Mit dem Kandidatenstatus hat die Türkei dieselben Beitrittschancen wie die bereits anerkannten zwölf Bewerber aus Mittel-, Ost- und Südeuropa. Ab Februar sollen zusätzlich zu den Kandidaten der ersten Runde auch Verhandlungen mit Rumänien, Bulgarien, Lettland, Litauen, der Slowakei und Malta beginnen. Bisher verhandelt die EU mit Ungarn, Polen, Tschechien, Estland, Slowenien und Zypern. Hoffnung auf Abschaffung der Todesstrafe Der Gastgeber von Helsinki, der finnische Ministerpräsident Paavo Lipponen äußerte die Hoffnung, die erste Reform der Türkei werde die Abschaffung der Todesstrafe sein. US-Präsident Bill Clinton begrüßte die Entscheidung der Türkei, den von der EU angebotenen Status anzunehmen. Die Türkei hat die Aufnahme in den Kreis der Beitrittskandidaten der EU am Wochenende als Sieg gefeiert. "Dies ist ein historischer Tag für die Türkei", sagte Außenminister Cem. Europaabgeordnete warnten unterdessen vor einer raschen Mitgliedschaft des Landes. "Wer jetzt den Eindruck erweckt, der EU-Beitritt der Türkei könnte innerhalb der nächsten zehn Jahre erfolgen, der hat von der Realität keine Ahnung", sagte Willi Görlach, Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE). Ecevit hingegen betonte: "Die Vollmitgliedschaft in der EU ist ein natürliches Recht der Türkei." Der Reise Ecevits in die finnische Hauptstadt war ein diplomatisches Tauziehen vorausgegangen. Die Bedingungen, die die EU mit dem Angebot des Kandidatenstatus verknüpft hatte, waren in Ankara zunächst auf Ablehnung gestoßen. Die EU will erst Beitrittsverhandlungen aufnehmen, wenn die Türkei die 1993 in Kopenhagen festgelegten Aufnahmekriterien erfüllt. Der außenpolitische Koordinator der EU, Javier Solana, und Erweiterungskommissar Günter Verheugen mussten eigens nach Ankara fliegen, um der Türkei die Haltung der EU zu erläutern. Aus Washington schaltete sich US-Präsident Clinton ein. Er ermunterte Ecevit, auf das Angebot der EU einzugehen. In Helsinki gestand Ecevit ein, dass die Türkei im Vergleich zur EU in verschiedenen Bereichen "Boden gutmachen" müsse. Er räumte Defizite bei Menschenrechten, demokratischen Gepflogenheiten und Wirtschaftsentwicklung ein. Ecevit unterstrich, er werde sich für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzen. Bei den Konfliktthemen Kurden- und Ägäispolitik signalisierte er Handlungsbereitschaft. Hart blieb er aber hinsichtlich der geteilten Mittelmeerinsel Zypern. Eine Einigung mit Griechenland werde es nur geben, wenn der Status quo erhalten bliebe. Der Gipfel forderte beide Seiten auf, ihre Territorialstreitigkeiten bis 2004 friedlich beizulegen.
|