Süddeutsche Zeitung, 14.12.1999

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Erde und Mond, Schily und SPD

Die Entfernung zwischen Erde und Mond beträgt maximal 405 500 Kilometer. Ungefähr diese Distanz liegt auch zwischen der Asyl- und Ausländerpolitik des Bundesinnenministers Otto Schily und den Forderungen, die der Parteitag der SPD in der vergangenen Woche beschlossen hat: Der Parteitag will eine humanere Grundlinie. Beim 12-Punkte-Katalog des SPD-Parteitages handelt es sich um einen kompletten Gegenentwurf zu Schilys bisheriger Politik.

Soeben hat die Caritas, wie es zuvor schon andere Wohlfahrtsorganisationen getan haben, die Beschlüsse begrüßt und sich "in einem Großteil der eigenen Forderungen" bestätigt gesehen. Lob von dieser Seite ist einem SPD-Beschluss schon lange nicht mehr widerfahren. Es hat aber auch noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik einen Parteitag gegeben, der dem eigenen Innenminister so heftig widersprochen und ihn zu einer Kehrtwendung seiner Politik aufgefordert hat: Eine erweiterte Altfallregelung für Flüchtlinge wurde verlangt; Aufhebung des ausländerrechtlichen Vorbehalts zur UN-Kinderkonvention, Abschaffung des Flughafenverfahrens, Rücknahme der Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes - rundweg die Korrektur der "unbefriedigenden Praxis bei der Behandlung der Asylanträge". Die Streichung des Vorbehalts zur UN-Kinderkonvention (dann dürften Kinderflüchtlinge nicht mehr rigoros abgewiesen werden) hat unlängst schon der Bundestag gefordert - Schily reagierte unwillig. Ob ihm der Parteitag mehr gilt als der Bundestag?

Zwischen Erde und Mond gibt es immerhin Anziehungskräfte. Ob das zwischen Schily und den SPD-Forderungen auch gilt, muss sich zeigen.

pra