Tagesspiegel, 14.12.1999 50 Jahre Hermes-Bürgschaften Fluch oder Segen für Millionen? Staatliche Export-Bürgschaften werden seit Jahren kritisiert - auch Rot-Grün hat die Vergabe-Kriterien nicht geändert Martina Ohm, Rolf Obertreis Die Oppositionsgruppen wähnten sich am Ziel: Mit der Übernahme der Regierungsverantwortung beschloss Rot-Grün im Herbst 1998 eine Reform der staatlichen Exportkreditversicherung. "Die neue Bundesregierung wird eine Reform der Außenwirtschaftsförderung, insbesondere der Gewährung von Exportbürgschaften, nach ökologischen, sozialen und entwicklungsverträglichen Gesichtspunkten in die Wege leiten", heißt es im Koalitionsvertrag. Ein gutes Jahr später sieht die Bilanz düster aus. Die Hoffnungen auf eine demokratische Kontrolle der Projektförderung, auf grundsätzlich mehr Transparenz bei der Vergabe von Export-Bürgschaften sind verflogen. Ein neues Gesetz oder neue Vorschriften hält das Bundeswirtschaftsministerium nicht für notwendig. Von einer automatischen Überprüfung nach Umweltverträglichkeits-Aspekten wie beispielsweise in den USA ist schon gar nicht die Rede. Dennoch wird am heutigen Dienstag das 50-jährige Bestehen der Versicherung für deutsche Exporte in Berlin gefeiert. Seit einem halben Jahrhundert greift die Bundesregierung den deutschen Exporteuren unter die Arme. Damit sollte der wirtschaftliche Wiederaufbau der Bundesrepublik Deutschland abgesichert werden. Im November 1949 setzte sich erstmals der so genannte Ausfuhrgarantie-Ausschuss (IMA) zusammen, um darüber zu befinden, in welchen Fällen der Staat für wirtschaftliche und politische Risiken eines privatwirtschaftlichen Exportgeschäftes gerade stehen sollte. Die so genannten Hermes-Bürgschaften werden von Unternehmen in Anspruch genommen, die sich beispielsweise vor einem Umsturz oder Devisenknappheit im Abnehmerland oder vor Zahlungsunfähigkeit des Abnehmers schützen wollen. Abgewickelt werden die Export-Versicherungsgeschäfte durch die private Hermes Kreditversicherung in Hamburg Jährlich werden zwischen 30 000 und 50 000 Bürgschaften übernommen. Seit 1949 ist die Bundesregierung für Zahlungen mit Steuergeldern in Höhe von über 58 Milliarden Mark eingesprungen. Zurzeit steht die Bundesregierung für Exportgeschäfte im Volumen von 110 Milliarden Mark gerade. Der Großteil der Garantien wurde für Exportgeschäfte in Länder der Dritten Welt erteilt. Ein neues Prämiensystem soll den ausufernden Subventionswettbewerb bei der Deckung politischer Risiken für Exportkredite beschränken. Trotz der Passage im Koalitionsvertrag, in der die rot-grüne Bundesregierung eine Reform der staatlichen Export-Bürgschaften ankündigt, ist bisher nichts passiert. Im Gegenteil: "Derzeit stehen Entscheidungen über die Hermes-Förderung für äußerst problematische Projekte unmittelbar bevor, etwa für den Staudämme im indischen Maheshwar oder für die Atomkraftewerke K2/R4 in der Ukraine", sagt Barbara Unmüßig von der Organisation WEED. Weshalb die Kritiker, zu denen mittlerweile 120 Organisationen wie Brot für die Welt, Misereor oder der Naturschutzbund Deutschland zählen, ihre Aktivitäten nicht nur am 50. Geburtstag von Hermes verstärken. Alle Anträge auf Exportförderung sollen künftig auf der Grundlage von Richtlinien, die die Weltbank schon seit längerem für ihre Projekte anlegt, auf Umwelt- und Sozialverträglichkeit geprüft werden. Der Export von Rüstungs- und rüstungsnahen Gütern soll von der Förderung ausgeschlossen werden. Bei Ausfuhren in Entwicklungsländer soll die Bundesregierung die Maßstäbe anlegen, die für Entwicklungsprojekte gelten. Gültige, übergeordnete allgemeinwohlorientierte Ziele dürften auch durch Hermes nicht verletzt werden. Die Vergabe von Hermes soll transparent, dem Parlament soll eine wirksame Kontrollchance eingeräumt werden. Für die Entwicklungsländer selbst sind viele Hermes-Bürgschaften oft ein Fluch: Wenn die Bundesregierung zahlen muss, werden daraus Schulden der armen und ärmsten Länder. Ende 1997 hatte Deutschland Forderungen an die Entwicklungsländer in Höhe von 59,4 Milliarden Mark: Rund 17 Milliarden stammten aus Entschädigungen für Hermesbürgschaften. Ihre Forderungen seien realistisch, sagen die Kritiker. Bei den Hermes entsprechenden Institutionen in den USA etwa, so Heike Drillisch von WEED, seien weit reichende Umweltkriterien, Veröffentlichungen und Mitspracherechte für Nichtregierungsorganisationen längst verwirklicht. Ökologisch bedenkliche Großstaudämme sind von der Förderung ebenso ausgenommen wie der kommerzielle Holzeinschlag in tropischen Primärwäldern. Die Beispiele USA und auch Schweiz, so die Kritiker, zeigten, dass es bei einer Verschärfung der Hermes-Richtlinien nicht zur einem Kollaps der Exportindustrie kommen muss. Auch das Argument "Arbeitsplatzsicherung" halten sie nicht für stichhaltig: Dies könne nicht allein das Kriterium für die Erschließung schwieriger und neuer Märkte sein. Förderungen von Atomkraftwerken, wie des Atomkraftwerks Mochovce in der Slowakei - dort agiert Siemens mit Hilfe von Hermes - müssen nach Ansicht der Kritiker ebenso der Vergangenheit angehören wie die Hermes-Absicherung für den ökologisch höchst umstrittenen Drei-Schluchten-Staudamm in China. Dort arbeiten mehrere deutsche Firmen mit einer 1,3 Milliarden-Mark-Absicherung des Bundes. Beim Ilisu- Staudamm in der Türkei und bei den ukranischen AKWs K2/R4 soll diese Entwicklung verhindert werden. Mitte November haben die Kritiker Außenminister Joschka Fischer per Brief aufgefordert, die Förderung von Ilisu abzulehnen. Die Antwort steht noch aus.
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