yahoo, 16. Dezember 1999, 17:27 Uhr Prozess gegen Schüler löst Demokratiedebatte in Türkei aus Wegen Demonstration gegen Lehrermangel droht Gefängnis Istanbul (AP) Ein am Donnerstag in Istanbul begonnener Prozess gegen sechs minderjährige Schüler hat eine neue Debatte über die Lage der demokratischen Rechte und Freiheiten in der Türkei ausgelöst. Die Schüler sind angeklagt, weil sie im vergangenen Jahr gegen den Lehrermangel an ihrer Schule demonstriert hatten. Dafür droht ihnen nach türkischem Recht eine bis zu dreijährige Freiheitsstrafe. Die Türkei müsse "diese Schande abschaffen", wenn sie ein ernsthafter Kandidat für die Mitgliedschaft in der EU werden wolle, sagte Nazmi Gür, der Generalsekretär der unabhängigen Menschenrechtsvereinigung. Die Schüler wurden wegen Verstoßes gegen das Gesetz gegen illegale Demonstrationen angeklagt. Sie erklärten bei der Eröffnung des Verfahrens, sie hätten lediglich dagegen protestieren wollen, dass wegen Lehrermangels bei ihnen seit Jahren der Mathematikunterricht ausfalle. Dass sie damit eine Straftat begingen, hätten sie nicht gewusst. Der Prozess wurde nach kurzer Zeit auf den 16. Februar vertagt. "Gefängnis ist nicht genug, lasst sie uns aufhängen", schrieb die Tageszeitung "Radikal" am Donnerstag in einem ironischen Kommentar zu dem Prozess. Ein Kolumnist des Blattes, Mehmet Yilmaz, sagte: "Dieser Fall zeigt, in was für einem Land wir leben." Menschen- und Bürgerrechtler führen seit langem Klage über undemokratische Gesetze in der Türkei, die sich meist gegen die Arbeit von Journalisten oder prokurdischen Gruppen richten. Vier der Angeklagten zwölf bis 14-jährigen Schüler, die aus einem Stadtviertel Istanbuls mit hohem Kurdenanteil kommen, sind Kurden.
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