Tagesspiegel, 18.12.1999

Interview

Die Zuwandererquote nimmt ab - Niedersachsens Innenminister will diese Entwicklung fördern

Der Asylartikel dürfe im Interesse der europäischen Harmonisierung kein Tabu bleiben

Heiner Bartling (53) ist Innenminister in Niedersachsen, zuvor war er als parlamentarischer Staatssekretär der Landtagsfraktion. Mit dem SPD-Politiker sprach Armin Lehmann. Die Zahlen für Asylsuchende, Einwanderer und Spätaussiedler sind stark zurückgegangen. Ist die Aufnahmefähigkeit Deutschlands im Gegensatz zur Aussage von Bundesinnenminister Schily noch lange nicht erschöpft?

Zu einer Belastbarkeitsgrenze will ich gar keine konkreten Zahlen nennen. Mir geht es darum, dass wir Instrumentarien finden, um die Zuwanderung geordnet durchführen zu können. Jetzt haben wir zwar diesen Rückgang, aber es kann sein, dass wir irgendwann auch wieder einen Zuwachs an Asylsuchenden oder Spätaussiedlern haben werden, wie beispielsweise in den neunziger Jahren. Wir müssen aber den aktuellen Rückgang verstetigen.

Indem sie das Asylgrundrecht abschaffen?

Nein, so habe ich das auch nie gesagt. Mir ging es um die langfristige Perspektive. Und eine geordnete Zuwanderung ist langfristig nur über eine europäische Harmonisierung möglich. In diesem Kontext habe ich gesagt, dass man in einer solchen Debatte den Artikel 16 a auch in Frage stellen muss. Das ist ein langfristiger Prozess. Es dürfen dabei aber keine Tabus bestehen, und deshalb sage ich, es muss legitim sein, darüber nachdenken zu dürfen, im Zusammenhang einer europäischen Lösung möglicherweise auch das Grundgesetz ändern zu können.

Gut, wenn auch langfristig, aber das Recht, in Deutschland Asyl einzuklagen, wäre dahin.

Nein, auch das muss nicht unbedingt die Konsequenz sein. Wenn es eine europäische Lösung gibt, dann bleiben nationale Besonderheiten bestehen. Und wenn die Debatte dazu führt, dass unsere nationale Besonderheit weiterhin das Grundgesetz mit dem Artikel 16 a ist, habe ich auch nichts dagegen.

Aber allein die Tatsache, dass darüber nachgedacht wird, den Artikel einmal abzuschaffen, ist doch ein Tabubruch. Da können Sie sich über heftige Reaktionen nicht wundern.

Das ist richtig. Es ist ein Reizthema, dessen bin ich mir bewusst, und deshalb habe ich auch aus den eigenen Reihen für meine Aussagen Kritik bekommen. Zwei Dinge noch einmal dazu: Zum einen brauchen wir natürlich Zuwanderung in Deutschland aufgrund unserer demografischen Entwicklung. Das ist für uns sehr wichtig. Zum anderen wiederhole ich, dass ich mir bei einer europäischen Vereinheitlichung des Asylrechts vorstellen kann, dass der Grundgesetzartikel nicht abgeschafft werden muss.

Sie sprechen immer von langfristiger Dimension, kann man die Zuwanderung nicht schon jetzt besser ordnen, wie Sie sagen?

Im Moment gibt es dafür keine Möglichkeit, denn der einzige Zugang nach Deutschland ist rechtlich gesehen das Asylrecht oder eben die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen. Sonst haben wir keine Instrumentarien für eine geordnete Einwanderung.