Saarbrücker Zeitung, 20.12.1999 Der "Leopard" folgt Scharping zum Bosporus Gastgeber erwarten Erklärendes zum Panzergeschäft beim Türkei-Trip des Verteidigungsministers - Von SUSANNE GÜSTEN, Istanbul - Der berühmt-berüchtigte Test-Panzer aus Deutschland ist noch nicht einmal in der Türkei eingetroffen, dennoch dürfte er das wichtigste Thema beim Besuch von Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping in Ankara an diesem Montag und Dienstag werden. Bei der ersten Visite eines deutschen Verteidigungsministers in der Türkei seit 1992 steht der deutsche Koalitionsstreit um Rüstungslieferungen an die Türkei im Mittelpunkt. Zwar wird das Panzergeschäft bei den Gesprächen Scharpings nicht entschieden, doch hat die türkische Seite zum ersten Mal Gelegenheit, aus erster Hand über den Zwist in der Berliner Regierung informiert zu werden. Der zu Testzwecken per Schiff in die Türkei geschickte "Leopard-2"-Panzer wird Anfang Januar beim Nato-Partner erwartet. Spezialisten einer Panzer-Ausbildungseinheit der türkischen Armee werden den "Leopard" dann mehrere Monate lang testen und ihn mit den angebotenen Modellen aus den USA, Frankreich, Italien und der Ukraine vergleichen. Nach offiziellen türkischen Angaben soll die Entscheidung für eines der Modelle Mitte kommenden Jahres fallen; danach beginnen die Vertragsverhandlungen mit dem ausgewählten Partner. Es geht um viel Geld: Die türkische Armee will sich den Bau von 1000 Panzern rund 13 Milliarden Mark kosten lassen. Die Türken haben den Streit in der Bundesregierung um das Panzergeschäft aufmerksam verfolgt und auch die Sorgen wegen einer möglichen Verwendung der Panzer im Kurdenkrieg registriert. Im Gespräch mit Scharping dürften Präsident Süleyman Demirel, Ministerpräsident Bülent Ecevit, Generalstabschef Hüseyin Kivrikoglu und die anderen Vertreter der türkischen Staats- und Militärspitze deshalb bekräftigen, dass beim Panzerkauf keine Bedingungen akzeptiert werden: Ankara will nicht versprechen, deutsche Panzer aus dem Krieg gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) herauszuhalten. Schwere Kampfpanzer wie der "Leopard" sind im Guerilla-Krieg der türkischen Armee gegen die PKK in den Bergen Südost-Anatoliens zwar in vielen Situationen zu unbeweglich und deshalb keine häufig eingesetzte Waffe, doch lehnt die türkische Regierung Einschränkungen der Nutzung aus Rücksicht auf innenpolitische Empfindlichkeiten im Lieferanten-Staat ab. Der türkischen Regierung fällt diese Position trotz ihres Interesses am "Leopard" umso leichter, als sie sich von amerikanischer Seite aus unter Druck sieht, das US-Modell "Abrams" dem "Leopard" vorzuziehen. Zudem dürfte Scharping mit der Frage konfrontiert werden, warum Berlin die EU-Kandidatur der Türkei unterstützte, wenn sie ihr bei der nächsten größeren Entscheidung schon nicht mehr über den Weg traut. Scharping kann die in der rot-grünen Koalition in Berlin vorhandenen Bedenken gegen das "Leopard"-Geschäft der türkischen Regierung aber glaubwürdig nahebringen, weil er selbst im Bundessicherheitsrat für die Entsendung des Test-Panzers stimmte. Die Gastgeber des deutschen Ministers wissen zudem, dass Waffenlieferungen aus der Bundesrepublik an den Partner an der Südostflanke der Nato immer ein hochsensibles Thema sind. In den vergangenen Jahren hatte die Lieferung von Rüstungsgütern immer wieder politische Krisen ausgelöst. So musste einer von Scharpings Vorgängern, Gerhard Stoltenberg (CDU), 1992 wegen ungenehmigter Lieferungen von "Leopard-1"-Panzern an die Türkeiseinen Hut nehmen. Drei Jahre später sorgten Berichte über eine Verwendung gepanzerter Fahrzeuge aus deutschen Beständen im Kurdenkrieg für Verstimmung zwischen Deutschland und in der Türkei. Das Thema bleibt brisant - und zwar nicht nur wegen des geplanten neuen Panzergeschäfts: Scharping wird sich in Ankara nicht nur über den "Leopard" unterhalten. Schon im Sommer wurde in der Türkei der in deutsch-französischer Kooperation gebaute Kampfhubschrauber "Tiger" vorgestellt, weil die türkische Armee einen neuen Helikopter sucht. Auch dabei geht es um einen Großauftrag - rund sechs Milliarden Mark. Und die Entscheidung steht wesentlich früher an als beim "Leopard": Bis Ende März soll entschieden werden, ob der "Tiger" oder einer der Konkurrenten aus den USA oder Russland den Zuschlag erhält. Nicht weniger heikel als die Gespräche über Rüstungslieferungen ist das zweite Hauptthema des Scharping-Besuchs, nämlich der Aufbau eines eigenen europäischen Verteidigungsarms innerhalb der Nato. Die Türkei, die der Nato, aber nicht der EU angehört, steht diesem Vorhaben skeptisch gegenüber, weil sie befürchtet, ausgegrenzt zu werden. Die türkische Regierung wird nach Einschätzung aus diplomatischen Kreisen in Ankara dem Berliner Verteidigungsminister deutlich machen, dass sie auch ohne EU-Mitgliedschaft an der europäischen Verteidigungspolitik und ihren Entscheidungsprozessen voll und ganz beteiligt werden will.
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