Berliner Zeitung, 21.12.99 Türkei irritiert über Panzerdebatte Bundesverteidigungsminister Scharping zu Besuch in Ankara Sigrid Averesch und Ralf Beste ANKARA/BERLIN, 20. Dezember. Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) hat die Erwartungen auf eine rasche Aufnahme der Türkei in die Europäische Union gedämpft. In Fragen der Demokratisierung sei die Türkei "längst nicht da, wo man einen europäischen Standard ansetzt", sagte Scharping am Montag vor der Ankunft in Ankara. Selbst für eine Prognose, wann die Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden könnten, sei es zu früh. Scharping kündigte an, er wolle bei seinen politischen Gesprächen in der türkischen Hauptstadt die Defizite des Landes auf dem Weg nach Europa offen benennen. Die türkische Regierung müsse an der Menschenrechtslage, dem Minderheitenschutz und der Zypernfrage noch "arbeiten". Scharping wird in Ankara unter anderem mit Staatspräsident Süleyman Demirel und Ministerpräsident Bülent Ecevit reden. Mit Blick auf die Krisenregionen im Kaukasus und im Mittleren Osten bezeichnete er die Türkei allerdings als einen "Partner von besonderem strategischem Gewicht". Der türkische Verteidigungsminister Sebahattin Cakmakoglu äußerte sich am Montag irritiert über die deutsche Debatte, ob Leopard-Panzer an die Türkei geliefert werden dürften. Die Türkei besitze bereits Leopard-I-Panzer; es handele sich lediglich um ein Modernisierungsprogramm, argumentierte er. Cakmakoglu betonte, dass die türkische Armee den Panzer zunächst testen müsse, ob er die Qualitätsanforderungen der türkischen Armee erfülle, bevor es zu einem Kaufauftrag komme. Neue Exportbestimmungen Scharping äußerte sich ausweichend zu der Auseinandersetzung in der Berliner Regierungskoalition um Waffenlieferungen an die Türkei. Er sei "guten Mutes", dass das Bundeskabinett am kommenden Mittwoch eine neue Fassung der umstrittenen Richtlinien für Waffenexporte beschließen werde. Ob er der letzten Fassung zustimmt, blieb offen. Scharping bekräftigte allerdings, dass er sich stets für eine "restriktive Exportpraxis" ausgesprochen habe. Der Koalitionsausschuss hatte vor zwei Monaten zur Beilegung des Streits um die Lieferung eines Testpanzers vom Typ Leopard II beschlossen, dass die Fraktionen bei der Neufassung der Exportrichtlinien beteiligt werden. Bereits in der vergangenen Woche hatte sich eine Runde von Staatssekretären aus den beteiligten Ministerien sowie den Vertretern von SPD und Grünen, Gernot Erler und Clau dia Roth, auf neue Bestimmungen geeinigt. Auch wenn das Kabinett sich am Mittwoch mit den Richtlinien befassen sollte, ist das Verfahren noch nicht abgeschlossen. Danach werde der Bundessicherheitsrat das Papier beraten, betonte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Erler. Erst nach der geheimen Beratung im Bundessicherheitsrat werden die neuen Richtlinien vom Kabinett förmlich beschlossen werden. In Kraft treten könnten sie voraussichtlich im Januar. Laut Erler werden die neuen Grundsätze drei Bereiche umfassen. So soll stärker als bislang das Kriterium der Menschenrechte eine Rolle spielen. Auch bei internationalen Rüstungskooperationen sowie der Frage des Verbleibs der Waffen im Empfängerland sollen neue Kriterien gelten. Erler stellte klar, dass es bei Prüfungen der einzelnen Rüstungsexporte durch die Ministerien bleiben werde. "Die Grundsätze sind ein Orientierungsrahmen für die Entscheidungen." Zu weiteren Details wollte sich Erler nicht äußern. Das Ergebnis bewertete er als gut. "Es ist ein Kompromiss." Dies gelte für SPD und Grüne sowie für die beteiligten Ministerien. Auch die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Angelika Beer, wertete die neuen Richtlinien als deutliche Verbesserung gegenüber den alten. Die Menschenrechte würden nun in jedem Abschnitt des Dokuments angesprochen und nicht ausschließlich in der Präambel.
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