Süddeutsche Zeitung, 21.12.99 "Türkei bleibt noch lange Beitrittskandidat" Scharping: Das Land ist längst nicht auf dem Standard der EU-Länder" Von Christoph Schwennicke Ankara - Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) hat Erwartungen gedämpft, die Türkei werde schon bald in die Europäische Union aufgenommen. Zu Beginn seines zweitägigen Besuches in Ankara bescheinigte Scharping dem Land zwar politische Fortschritte auf dem Weg in die EU, sagte aber auch, es sei "völlig offen", wie lange die Türkei im Status eines Beitrittskandidaten verbleiben werde. Deutschland, die Nato und die EU hätten ein natürliches Interesse daran, jene Staaten in der Region zu unterstützen, die sich als laizistisch, weltoffen und tolerant erwiesen. Ausdrücklich nahm er das Attribut "demokratisch" aus. In den genannten Feldern sei die Türkei "deutlich weiter" als seine Nachbarstaaten, "aber längst nicht europäischer Standard". Mit der Regierung Ecevit bestehe jedoch eine Chance für eine positive Entwicklung. Ihre solide Mehrheit im Parlament signalisiere ebenso Stabilität wie die entscheidenden Politiker - Premier Ecevit selbst, Außenminister Ismail Cem und Staatspräsident Süleyman Demirel. Dennoch müsse man mit Blick auf die Menschenrechtslage, die Lage der Minderheiten im Land sowie die Cypern- und Ägäisfrage "weiter arbeiten". Scharping hält sich zwei Tage lang zu politischen Gesprächen in der Türkei auf. Neben dem Ministerpräsidenten und Verteidigungsminister Sebahattin Cakmakoglu, dem Staatspräsidenten und dem Außenminister trifft Scharping auch den Generalstabschef der Streitkräfte, der in der Türkei einen höheren Stellenwert hat als der Verteidigungsminister. <SZ.ZTHeikles Thema Rüstung </SZ.ZT Es ist davon auszugehen, dass die Gastgeber auch das Thema Rüstungsexporte ansprechen. Die Türkei ist interessiert an 1000 Kampfpanzern Leopard 2, von denen die türkische Armee einen zur Zeit zum Test hat, außerdem an 145 Tiger-Kampfhubschraubern. Auf die Frage, ob die Rüstungsgeschäfte angesprochen würden, sagte Scharping, ihm gehe es bei Besuchen wie diesem um die Etablierung eines erweiterten Sicherheitsbegriffs. Daher wolle er die Reise nicht auf die rüstungswirtschaftliche Zusammenarbeit verengen lassen. Den Beschluss des SPD-Parteitages, generell keine Panzerlieferungen an die Türkei zuzulassen, bezeichnete Scharping als "Entscheidungshilfe" für das Handeln der Koalition. Auf die Frage, ob die Türken möglicherweise ein Kaufbegehren bezüglich des Leopards an ihn richten würden, sagte Scharping, er könne sich nicht vorstellen, dass die Türkei den Testpanzer "nur zum Schein" ausprobieren wolle. Von dem in Rede stehenden Kampfhubschrauber Tiger sei inzwischen ein Testmodell in der Türkei, sagte Scharping. Die Entscheidung über eine Lieferung des Tigers liege aber in Frankreich. Beim Tiger handelt es sich um ein deutsch- französisches Gemeinschaftsprojekt, an dem die französische Regierung 70 Prozent der Anteile hält. In der Türkei läuft zur Zeit ein immenses Rüstungsprogramm. Bis zum Jahr 2007 sollen umgerechnet Beträge im zweistelligen Milliardenbereich in neues Gerät für die Streitkräfte investiert werden. Scharping deutete an, dass das Kabinett am Mittwoch tatsächlich über die neuen Richtlinien zum Rüstungsexport abschließend berate. Er habe aber "nicht die Absicht, auf dieser Reise die Exportrichtlinien zu kommentieren". Grundsätzlich habe er mit klaren Richtlinien "keine Probleme", weil er sich immer für eine restriktive Rüstungsexportpolitik ausgeprochen habe.
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