Die Welt, 21.12.99 Großes Protokoll für Scharping in der Türkei Kein Kommentar zu strittigem Panzergeschäft Von Hans-Jürgen Leersch Ankara - Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) hat der Türkei Fortschritte bei der Annäherung an westeuropäische Verhältnisse bescheinigt. Zum Auftakt eines zweitägigen Besuches in der Türkei sagte Scharping gestern in Ankara, es seien "Entwicklungen im Gange, die eine gewisse Hoffnung begründen". Scharpings Besuch wird in der Türkei als besonders wichtig eingestuft. So wurde der Minister bereits am Flughafen von seinem türkischen Kollegen Cakmakoglu empfangen. Auf dem Terminplan des deutschen Gastes stehen außerdem Gespräche mit Ministerpräsident Ecevit, Staatspräsident Demirel und Außenminister Cem. Hintergrund des starken türkischen Interesses ist der Wunsch nach deutschen Waffenlieferungen: 1000 Exemplare des Kampfpanzers Leopard II und 140 Kampfhubschraubern Tiger aus deutsch-französischer Produktion. Deshalb hatte es in der rot-grünen Koalition schwere Auseinandersetzungen gegeben. Außerdem will die türkische Seite wissen, wie die deutsche Regierung die Perspektive auf Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der EU sieht. Scharping lehnte allerdings jeden Kommentar zum umstrittenen Panzergeschäft ab. Er glaube nicht, dass er in Ankara Signale bekommen werde, ob die Türkei den Leopard kaufen wolle. Die Türkei behandelte das Thema Rüstung völlig unverkrampft und informierte die versammelten Journalisten über die Situation der heimischen Rüstungsindustrie, die an einer Kooperation mit Deutschland stark interessiert ist. So soll der Leopard II größtenteils in der Türkei montiert werden, falls der Bundessicherheitsrat dem Geschäft zustimmt. Doch selbst wenn Berlin das Leopard-Geschäft (Volumen zehn Milliarden Mark) ablehnen würde, würde die deutsche Industrie noch gut verdienen: Der von den USA angebotene Panzer soll einen deutschen Dieselantrieb und eine deutsche Kanone erhalten. Gelassen reagierte Scharping auf die Einigung der rot-grünen Koalition über die neuen Rüstungsexportrichtlinien. Am Mittwoch sollen sie im Kabinett verabschiedet werden und eine stärkere Beachtung der Menschenrechte in den Empfängerländern vorsehen. Den Beschluss des SPD-Parteitages gegen das Panzergeschäft spielte Scharping als "Entscheidungshilfe" herunter. Scharping wies darauf hin, dass Ministerpräsident Ecevit eine stabile Mehrheit im Parlament habe. Es habe eine Amnestie für Meinungsdelikte gegeben und eine Amnestie für Strafen, die wegen des Gebrauchs der kurdischen Sprache verhängt worden seien. Nach wie vor gebe es aber Folter in Gefängnissen, kritisierte Scharping, der Ankara auch den Rat gab, die Todesstrafe abzuschaffen. Im Vergleich mit anderen arabischen Staaten sei die Türkei aber erheblich weiter.
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