Frankfurter Rundschau, 22.12.99 Ein Verteidigungsminister zwischen Prioritäten und Prinzipien Rudolf Scharping schlägt in der Türkei einen geschmeidigen Kurs ein und umschifft die Panzer-Frage Von Axel Vornbäumen (Ankara) Wie justiert man die Reichweite und Schlagkraft des eigenen Arguments? Durch Beobachtung. Wen beobachtet man? Zum Beispiel die Dolmetscherin. Rudolf Scharping hat das dieser Tage in Ankara getan und "gespürt", dass die fürs Übersetzen zuständige Frau "ab und zu mal geschluckt" habe. Etwa als der deutsche Verteidigungsminister dem türkischen Generalstabschef, dem mächtigsten Mann der mächtigen Militärs, seine Ansicht über den Aufbau von Zivilgesellschaften darlegte. Man dürfe, wird Scharping später sagen, Prinzipien eben nicht mit Prioritäten verwechseln. Manchmal gilt sogar das Gegenteil. Manchmal ist der Versuch, beides miteinander in Einklang zu bringen, aller Mühen wert. Ganz einfach ist das nicht. Prinzipien - das sind für den Sozialdemokraten und Verteidigungsminister in punkto Türkei die Menschenrechte. Da gibt es einiges festzuhalten: etwa, dass sich zwar manches entwickelt habe, die Türkei aber immer noch dem "europäischen Standard" bedenklich hinterherhinke. Prioritäten - das sind für den Verteidigungsminister und Sozialdemokraten die strategische Lage der Türkei und die verlässliche Einbettung des Nato-Partners und vagen EU-Anwärters in die westliche Sicherheitsarchitektur. Da gilt es festzuhalten, dass dies keinesfalls gefährdet werden darf. Wer hier auf seiner eigenen Werteskala ins Schleudern gerät, der muss sich auf Anraten Scharpings nur kurz ausmalen, was es bedeuten würde, wenn die Türkei nach den selben "fanatischen Prinzipien" regiert würde, wie so mancher Staat in dieser Region. Scharping will das lieber nicht tun. Und er will Fehler vermeiden - etwa den, in die "höchst unpolitische Haltung" zu verfallen, erst mit jemandem zu reden, wenn der sich vollständig nach den eigenen Vorstellungen entwickelt hat. Oder den, "alles zu übersehen, nur weil man ein Geschäft machen will". Reden mit den Türken also, mit Präsident und Ministerpräsident, mit Außen- und Verteidigungsminister und mit dem Generalstabschef - aber worüber? Über 1000 Leopard-2-Panzer zum Beispiel, den sich abzeichnenden Wunsch der türkischen Militärs nach einem Großauftrag für die deutsche Rüstungsindustrie? Da gäbe es durchaus geeignetere Momente, als ausgerechnet den Tag, an dem aus Deutschland durchsickert, dass Rüstungsexporte auch künftig "objekt-bezogen" auf ihre eventuelle menschenrechts-widrige Verwendung geprüft werden. Eine Leo-Lieferung an den Bosporus scheint in der Heimat politisch schwerer durchsetzbar denn je. Ist Scharping da nicht seinen Gesprächspartnern in Ankara gegenüber in Erklärungszwang? Das "Panzer-Thema", sagt er, habe "kaum eine Rolle gespielt", seine türkischen Gegenüber seien nicht in die Haltung verfallen, "alles auf ein einziges Objekt hin hochzujubeln". In Scharpings Entourage wird gar bezweifelt, ob die türkische Seite auf dem neusten Sachstand zu der daheim so sensibel angefassten Panzer-Frage sei. Vielleicht, versucht man sich im Beraterstab an einer Erklärung, seien die Türken in Sachen Leo so wortkarg gewesen, "weil sie ohnehin davon ausgehen, dass sie ihn kriegen". Im Übrigen habe man mit einem Vorurteil zu kämpfen. Welches Vorurteil? Dass deutsche Waffen exzellent seien. Doch ein wenig muss die deutsche Delegation und namentlich Scharping bei diesem Kurz-Tripp nach Ankara auch wieder mit der Wahrnehmung kämpfen. Über die innerdeutsche Diskussion über den Panzer, so kolportiert die türkische Zeitung Milliyet eine Äußerung Scharpings im Gespräch mit dem türkischen Generalstabschef Kivrikoglu, "lache ich nur". Da muss anderntags kräftig dementiert werden - schon bei seinem Besuch 1997, sei die türkische Presse "frei mit meinen Äußerungen umgegangen", sagt Scharping. Bliebe noch die Sinnfrage - nicht die nach dem Scharping-Besuch, sondern die nach einer Panzerlieferung. Braucht eine Nato-Armee heute 1000 schwere Kampfpanzer, da im Bündnis allenthalben über flexible, krisen-reaktive Truppen nachgedacht wird? Da lassen sich für Scharping dann doch Prinzipien und Prioritäten zur Deckung bringen: "Ich halte nichts davon, hier als Oberlehrer aufzutreten." Nicht Pauker, Freund der Türkei will er sein.
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