Die Welt, 22.12.99 "Ich bin weder Türöffner noch Türsteher" Scharping setzt sich in der Türkei diskret für das umstrittene Panzergeschäft ein Von Hans-Jürgen Leersch Ankara - Trotz ablehnender Beschlüsse der rot-grünen Koalitionsparteien und der Verschärfung der Richtlinien für Rüstungsexporte bleibt die Haltung der deutschen Regierung im umstrittenen Panzergeschäft mit der Türkei weiter offen. Verteidigungsminister Rudolf Scharping wies während seines Besuchs in Ankara auf die Interessen der Länder im Nahen Osten hin, die Balance suchten und im Rüstungsbereich nicht völlig von den USA abhängig werden wollten. Um die Modernisierung der türkischen Armee mit 1000 neuen Kampfpanzern bewerben sich neben dem deutschen Krauss-Maffei-Wegmann-Konsortium mit dem Leopard II auch die amerikanische General-Dynamics-Gruppe, die einen US-Panzer mit deutschem Dieselantrieb und deutscher Kanone anbietet. Die deutsche Regierung will die Zustimmung zum Verkauf von Leopard-II-Panzern von Fortschritten in der Türkei bei den Menschenrechten abhängig machen. Scharping erinnerte an eine Äußerung von Bundeskanzler Gerhard Schröder, der der Türkei bereits bedeutsame Fortschritte bei der Menschenrechtslage bescheinigt hatte. Der türkische Verteidigungsminister Cakmakoglu kritisierte gegenüber Scharping die deutsche Debatte über die Menschenrechtslage in seinem Land: "Die Diskussion in Zusammenhang mit den Menschenrechten zu stellen, haben wir nicht ganz verstanden." Die Türkei habe bereits Leopard-I-Panzer und wolle jetzt modernisieren. Scharping ergänzte diese Angaben mit dem Hinweis, es gebe nicht die geringsten Anhaltspunkte, dass die Türkei ihre Leopard-Panzer gegen die kurdische Minderheit eingesetzt habe. Genauso gut sei es aber sein Recht, auf den Berliner Koalitionsbeschluss aufmerksam zu machen, in dem eine Verbesserung der Menschenrechte gefordert wird. Scharping erklärte, die Entscheidung über die Lieferung der Leopard-II-Panzer stehe erst in einem Jahr an. Die Türkei, die ein deutsches Testfahrzeug und Modelle aus anderen Ländern erwartet, werde die Erprobungsphase durchführen - "schon mit Rücksicht darauf, dass sie nicht weiß, wie die deutsche Entscheidung ausfällt". Zu seiner eigenen Rolle im Panzergeschäft erklärte Scharping, er sei "weder Türöffner noch Türsteher". Zugleich wies der SPD-Politiker aber auf das "umfassende strategische Interesse" hin, das der Westen insgesamt und natürlich auch die Bundesrepublik an der Türkei habe. In Europa und vermutlich auch in Deutschland mit zwei Millionen türkischen Einwohnern würde die Lage völlig anders aussehen, wenn die Türkei kein laizistischer Staat sei, sondern mit demselben Fundamentalismus regiert werde wie Syrien oder der Iran. Die Türkei sei nicht nur von großer Bedeutung als Brücke in die arabische Welt, sondern auch für den Nahost-Friedensprozess zwischen Israel und seinen Nachbarn. Scharping und seine türkischen Gesprächspartner waren sich einig, dass dem Nahost-Friedensprozess Priorität zukomme. Insgesamt wurde während des Scharping-Besuchs eine Verbesserung des Klimas in den Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei deutlich. Die Türkei wisse es zu schätzen, berichtete Scharping, dass sich die europäische und deutsche Politik geändert habe. Während sich die EU noch 1997 als "christlicher KIlub" verstanden habe, habe die Türkei inzwischen den EU-Beitrittskandidatenstatus erhalten. Scharping bezeichnete die EU als werteorientierte Zivilisation, die sich nicht geografisch eingrenzen lasse.
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