taz, 22.12.1999 Seite 12 Kommentar Besuch mit Hintergedanken Warum kommt er eigentlich?", war die spannendste Frage bei dem Besuch des deutschen Verteidigungsministers in Ankara. Auch nach der Visite ist sie nicht eindeutig zu beantworten. Scharping, so hieß es, habe die Berliner Beschlusslage zum Leopard II erläutert und gleichzeitig für den Kauf der Panzer geworben. Da aber die neue Waffenexportrichtlinie erst heute im Berliner Kabinett vorgestellt wird, wird der Minister Mühe gehabt haben, Klarheit in die Feinheiten des Verkaufs zu bringen. Dass Scharping in dieser Situation keinen weiten Bogen um die Türkei gemacht hat, sondern riskierte, erneut schlafende Hunde zu wecken, muss also andere Gründe als den Rüstungsexport haben. Da ist zum einen die so genannte neue Europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität (ESVI) als Kern einer zukünftigen Euro-Armee. Diese Initiative liegt der türkischen Armee weit schwerer im Magen als alle Leopard-Panzer zusammen. Sie fürchtet, durch die Initiative, an der die Türkei so lange nicht beteiligt ist, weil sie nicht EU-Mitglied geworden ist, langsam, aber sicher aus den für sie wichtigen Entscheidungsprozessen rausgedrängt zu werden, weil diese EU-Armee eben auch unabhängig von den anderen Nato-Mitgliedern agieren können soll. Wie die europäische Nato-Säule perspektivisch nicht nur mit den USA, sondern eben auch der Türkei und Norwegen, das ja auch nicht EU-, aber Nato-Mitglied ist, zusammenarbeiten soll, war die Hauptfrage von Generalstabschef Kivrikoglu im Gespräch mit Scharping. Warum dieser gerade jetzt mit den türkischen Generälen über die zukünftige Zusammenarbeit redet, hat er selbst angedeutet. In Ankara erläuterte Scharping, er befürchte eine mögliche Ausweitung des Tschetschenien-Krieges. Die russischen Truppen in Georgien seien bereits in Alarmbereitschaft, und Aserbaidschan, auf dessen Territorium keine Truppen Moskaus mehr stehen, fürchtet, Russland könne mit dem Argument, Nachschublinien der Rebellen zu unterbinden, wieder im Südkaukasus auftauchen. Beide Staaten haben bereits bei der Nato angeklopft - und für den Fall, dass sich die Moskauer Position gegenüber dem Westen weiter verhärtet und die Großrussen nach Tschetschenien versuchen, die Energieressourcen um das Kaspische Meer wieder unter ihre Kontrolle zu bekommen, wird die türkische Armee für die Nato insgesamt, aber auch für Europa in eine Schlüsselstellung rücken. Angesichts dessen macht es Sinn, rechtzeitig zu wissen, wo die türkischen Generäle stehen. Jürgen Gottschlich
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