Spiegel online, 21.12.99 Deutliche Worte in der Türkei Auf seinem Besuch in der Türkei warb Verteidigungsminister Scharping um den neuen EU-Beitrittskandidaten - mit deutlichen Worten, aber ohne in Sachen Rüstungsexporte konkret zu werden. Ankara - Rudolf Scharping gibt sich verschmitzt: "Ich spüre genau, dass die Dolmetscherin manchmal schluckt." Deutliche Worte Scharpings an die türkische Führung machen der Übersetzerin offenbar zu schaffen. Mehr will der Bundesverteidigungsminister nicht darüber preisgeben, wie seine Gesprächspartner Mahnungen aufnähmen, zur Demokratie gehörten auch Freiheit von Terror und Folter. Vehement weist er während seines zweitägigen Besuchs beim Nato-Partner in Ankara Fragen von Journalisten zurück, ob er nicht bloß Wegbereiter eines Milliarden-Geschäfts für die deutsche Rüstungsindustrie sei: "Ich bin weder Türöffner noch Türsteher." Im nächtlichen Gespräch mit Journalisten wird Scharping nicht müde, den "tief greifenden Wandel" in der deutschen und europäischen Türkei-Politik zu betonen. Als "enorme Dummheit" verurteilt er die dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) 1997 zugeschriebene Äußerung, Europa sei ein "christlicher Club" und biete damit keinen Platz für die moslemische Türkei. Zwei Jahre später habe die Europäische Union (EU) nun in Helsinki ihren Fehler korrigiert und die Türkei in die Reihen der Beitrittskandidaten aufgenommen. Statt die Türkei "oberlehrerhaft" zu bevormunden, sei es Erfolg versprechender für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, der Türkei eine europäische Perspektive zu geben. Scharping wirbt um Anerkennung dafür, dass sich auch in der Türkei Änderungen vollzögen, ohne aber einen Zweifel daran zu lassen, dass das Land europäischen Standards noch nicht genüge. "Unabhängig vom Schlucken der Dolmetscherin kann man jetzt frei darüber reden", sagt er. Die Türkei sei eine "zwar mangelhafte, aber immerhin eine Demokratie". Der Einfluss der Militärs sei "unbestreitbar zu stark". Doch ohne sie wäre es nicht bei der laizistischen Ausrichtung des Staates geblieben. Die Türkei würde heute womöglich "mit demselben religiösen Fanatismus regiert wie Iran", gibt Scharping zu bedenken. Er sieht "massivste Mängel" bei der Achtung der Menschenrechte, fügt aber hinzu, unter der Regierung von Ministerpräsident Bülent Ecevit habe es Fortschritte gegeben, die vor einem Jahr noch keiner für möglich gehalten habe. Seine Gesprächspartner hätten "mit Verve betont", es werde auf diesem Weg weitergehen. Die Unterredung mit dem einflussreichen Generalstabschef Hüseyin Kivrikoglu beschreibt Scharping als ein "zu Teilen etwas hartes Gespräch". Er fügt aber hinzu: Ohne die Zustimmung der Militärs hätte es das so genannte Reuegesetz als eine Art Amnestie für einstige Anhänger der Kurdenorganisation PKK nicht gegeben. Das Gleiche gelte für den Austausch der Militärrichter an den Staatsgerichtshöfen durch zivile Richter. So energisch Scharping den Wandel der Politik mit und in der Türkei betont, so ausweichend reagiert er auf Fragen nach den Konsequenzen für die Zusammenarbeit im Rüstungsbereich. Immer wieder wollen Journalisten wissen, ob die in der rot-grünen Bundesregierung umstrittene, von Scharping befürwortete Lieferung eines deutschen Leopard-Kampfpanzers an die Türkei in ein Milliardengeschäft über bis zu 1000 Panzern münden werde. Scharping weist auf den mit den Grünen vereinbarten Kompromiss hin. Dies werde nach der Erprobung des Testpanzers in etwa einem Jahr entschieden, "im Lichte überprüfbarer Fortschritte in Fragen von Menschenrechten und Minderheitenschutz". Bilder: In Ankara besuchte Scharping das Atatürk-Mausoleum und ließ dort einen Kranz niederlegen
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