HANDELSBLATT, 23.12.99

Menschenrechtslage soll entscheidendes Kriterium sein - Beschluss erst im Januar

Rot-grün einig über neue Grundsätze für Rüstungsexporte

Reuters BERLIN. Bundesregierung und Koalitionsfraktionen haben sich am Mittwoch auf verschärfte Richtlinien für Rüstungsexporte verständigt. Kernpunkt der unter Leitung von Kanzleramtsminister Michael Steiner sowie der Grünen-Politikerin Claudia Roth und dem stellvertretendem SPD-Fraktionschef Gernot Erler erarbeiteten Grundsätze ist die Verankerung der Menschenrechte als Kriterium für Exportgenehmigungen. Dies soll auch für Nato-Staaten wie die Türkei gelten. Zudem wird die Bundesregierung dem Parlament in Zukunft jährlich einen Rüstungsexport-Bericht vorlegen. Die Richtlinien sollen im Januar vom Kabinett beschlossen werden und damit in Kraft treten.

Die neuen Grundsätze waren nach dem Streit im Bundessicherheitsrat im Oktober über die Lieferung eines Test-Panzers an die Türkei angeregt worden. Der vom Vorbereitungsausschuss des Gremiums und den Vertretern der rot-grünen Fraktion erarbeitete Entwurf sieht laut Steiner vor, bei Exportentscheidungen für Rüstungsgüter künftig nur zwischen Nato- und EU-Staaten auf der einen sowie allen übrigen Staaten auf der anderen Seite zu unterscheiden. Export-Genehmigungen in Nato- und EU-Staaten sollen künftig die Regel sein, während Ausfuhren in die anderen Länder die Ausnahme bilden sollen.

Die Frage der Menschenrechte wird in den allgemeinen Teil der Grundsätze aufgenommen und ist damit auch für Entscheidungen heranzuziehen, die Exporte in Nato-Staaten betreffen. Danach muss künftig bei jeder Einzelentscheidung geprüft werden, ob es "hinreichende Anhaltspunkte" dafür gibt, dass das entsprechende Rüstungsgut zur Repression der Bevölkerung oder sonstige Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden soll. Ist dies der Fall, sollen Lieferungen ausgeschlossen sein. Bei der Prüfung sollen neben Berichten des Auswärtigen Amtes und der Vereinten Nationen auch Analysen von Menschenrechtsgruppen berücksichtigt werden.

EU-Codex wird integriert

Der gegenüber den bisher gültigen deutschen Richtlinien häufig schärfere Verhaltenscodex zu Rüstungsexporten der Europäischen Union (EU) wird in vollem Umfang zum Bestandteil der neuen nationalen Richtlinie gemacht. Die Staaten Schweiz, Australien, Neuseeland und Japan werden den Nato- und EU-Staaten gleichgestellt. Damit wird die Gleichstellung ganzer Regionen, wie der Südostasien-Gemeinschaft Asean, künftig aufgehoben. Bei Verstößen gegen die Zusage, Rüstungsgüter aus Deutschland nicht an Drittstaaten weiterzugeben, sollen weitere Exporte ausgesetzt werden können. Bei Kooperationsgeschäften mit anderen Nato- Partnern will die Bundesregierung sich künftig mehr Mitspracherechte bei der Entscheidung vorbehalten, wohin geliefert wird. Der Rüstungsexportbericht soll jährlich unter Leitung des Wirtschaftsministeriums erarbeitet werden. Steiner betonte, die Neuregelung werde die internationale Kooperationsfähigkeit der deutschen Rüstungsindustrie nicht beeinträchtigen. Den Interessen der wehrtechnischen Industrie sei Rechnung getragen worden. Die Neuregelung bedeute auch keine Eingriffe in bestehende Rüstungsverträge deutscher Unternehmen.

Kein Einfluss auf Panzerlieferung an Türkei

Die Richtlinien ergeben nach Steiners Worten keine neue Situation in der Frage, ob der Türkei 1000 deutsche Panzer geliefert werden können. Der Streit um die Lieferung von zunächst einem Testpanzer an das Nato-Land hatte im Oktober zu einer Koalitionskrise geführt, an deren Ende die Entscheidung stand, die Export-Richtlinien zu überarbeiten. Bei der gegenwärtigen Lage der Menschenrechte sei die Lieferung von Panzern nicht möglich, betonte Steiner. Erler nannte den Entwurf, dem nach Steiners Worten auch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bereits zugestimmt hat, einen gelungenen Kompromiss, der das vorgegebene Ziel einer restriktiven Rüstungsexportpolitik in Staaten außerhalb der EU verwirklicht, ohne die Leistungsfähigkeit der Industrie zu gefährden. Roth sprach von einem Kompromiss, der sie mit Stolz erfülle und der mit klaren Vorgaben eine Verbesserung für die Menschenrechte bedeute. CDU-Wehrexperte Paul Breuer warnte dagegen vor einer "weiteren Verschärfung" der Exportrichtlinien, die zu einer Schwächung der europäischen Verteidigungspolitik führen könne.