Badische Zeitung, 23.12.99 Grässlin zu neuen Richtlinien Türkei dürfte keine "Tiger" bekommen FREIBURG. "Die Umsetzung in der Praxis ist der Lackmustest." Der Freiburger Rüstungskritiker Jürgen Grässlin sieht die neuen Grundsätze für den Rüstungsexport von Rot-Grün mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Denn einerseits habe erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine Regierung überhaupt ihren Willen zu Restriktionen für den Rüstungsexport dokumentiert, hebt der Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK) lobend hervor. Andererseits enthielten die Richtlinien etliche Schwachstellen. Beispiel Menschenrechte: Dass deren "systematische" Verletzung in einem Land künftig ein Ausschlussgrund für Waffenlieferungen sein soll, begrüßt Grässlin. Aber nirgendwo sei definiert, was unter "systematisch" zu verstehen sei. Fiele darunter etwa "die systematische Anwendung der Todesstrafe", so Grässlin, dürfte Deutschland auch in die USA Waffen nicht mehr liefern. Ähnliches gilt für die Vorschriften zum so genannten Endverbleib. Schärfer als bisher soll der Verbleib exportierter Waffen im Empfängerland kontrolliert werden. Exportiert ein Land diese Waffen weiter, sollen alle Lieferungen bis zur Rücknahme eingestellt werden. "Will man die Waffen aus irgendeinem Kriegsgebiet wieder einsammeln?" fragt sich Grässlin und setzt hinzu: Die Kontrolle sei in jedem Fall schwierig. Als weiteren heiklen Punkt benennt er die Rüstungskooperationsgeschäfte. Nach Grässlins Angaben werden heute bereits 80 Prozent aller Rüstungsproduktionen gemeinsam mit ausländischen Partnern abgewickelt. Bislang galt dies häufig als Freibrief für Exporte. Künftig sollen Klauseln dafür sorgen, dass Deutschland die Möglichkeit einer "Einrede" wahrnehmen kann. Andererseits heißt es aber, an Kooperationen bestehe ein "besonderes Interesse". Daher sei ein Dauerstreit in Abwägung zwischen den Interessen der Menschenrechte und der Zusammenarbeit etwa mit England oder Frankreich absehbar. Ginge es nach den neuen Richtlinien, argumentiert der Begründer des Rüstungs-Informationsbüros Baden-Württemberg, dürfte etwa auch der Export des französisch-deutschen Kampfhubschraubers "Tiger" in die Türkei nicht zustande kommen. Indes: Ein weiterer Schwachpunkt sei, dass die Beschlüsse weiterhin geheim im Bundessicherheitsrat fielen. Eine Kontrollinstanz im Bundestag fehlt. Thomas Fricker |