junge Welt, 23.12.99 Bulgarischer Asylbewerber starb nach Polizeischüssen Flüchtlingsrat und PDS zeigen Leiter der Braunschweiger Ausländerbehörde an Nach dem gewaltsamen Tod des bulgarischen Asylbewerbers Zdravko Nikolov haben der Niedersächsische Flüchtlingsrat und die PDS- Bundestagsabgeordnete Heidi Lippmann den Leiter der Ausländerbehörde der Stadt Braunschweig, Edgar Wrobel, unter anderem wegen Körperverletzung mit Todesfolge angezeigt. Der promovierte Physiker Nikolov war in der Nacht zum 21. Dezember an den Folgen einer Schußverletzung gestorben, die er nach einer Auseinandersetzung mit Beamten eines Hannoverschen Sondereinsatzkommandos (SEK) der Polizei erlitten hatte. Obwohl er über die akute Suizidgefährdung des Bulgaren informiert gewesen sei, habe Wrobel am 10. Dezember Nikolovs Festnahme angeordnet, um ihn in Abschiebehaft nehmen und beim Amtsarzt vorführen zu lassen, erklärte der Geschäftsführer des Flüchtlingsrates, Kai Weber, gegenüber junge Welt. Nach dem Eintreffen der Polizisten in seiner Wohnung hatte Nikolov gedroht, sich mit einem Küchenmesser umzubringen. »Anstatt die Situation zu deeskalieren und auf die Festnahme zu verzichten, wurde das SEK verständigt, das die Wohnung mit einer Blendgranate beschoß und stürmte«, so Kai Weber. Nikolov habe sich mit dem Messer gewehrt und sei schließlich zweimal von einem SEK-Beamten angeschossen und lebensgefährlich verletzt worden. Es habe »keinerlei Rechtfertigung dafür gegeben, daß die Behörden mit Polizeigewalt gegen den durch Foltererfahrungen traumatisierten Mann vorgegangen sind«, sagt Kai Weber. Das Vorgehen des Ausländeramtes erfülle »in unseren Augen den Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung mit Todesfolge, von versuchter schwerer Freiheitsberaubung und Rechtsbeugung«. Heidi Lippmann zeigte Wrobel am Mittwoch auch wegen Nötigung an. Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft solle zudem prüfen, ob sich die am Einsatz beteiligten SEK-Polizisten strafbar gemacht haben. Zdravko Nikolov stammte nach Angaben des Flüchtlingsrates aus einer kommunistischen Familie und war in Bulgarien in der »Dimitroff-Jugend« aktiv. Nach der Wende sei er deshalb immer wieder von den Behörden und der Polizei schikaniert worden. Am 16. März 1992 hätten Beamte den damals 29jährigen im Rathaus in Sofia niedergeschlagen, ihn anschließend in einem psychiatrischen Gefängnis ans Bett gefesselt und dort weiter mißhandelt. Die Zeitung Trud nannte Nikolov einen »Terroristen« und schrieb: »Vier Polizisten haben ihm die Physiognomie ausgewechselt«. Unter Verweis auf die erlittenen Mißhandlungen beantragte Nikolov, der 1993 zunächst als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach Braunschweig gekommen war, Asyl. Das Bundesamt für die Anerkennung von Flüchtlingen und die Gerichte lehnten den Antrag ab. Zwar gebe es in Bulgarien »eklatante Fälle von Polizeibrutalität«. Am »Fortschreiten des Demokratisierungsprozesses« könnten jedoch keine Zweifel bestehen. Nachdem Nikolov auch seine Arbeitserlaubnis verlor, habe sich sich sein Gesundheitszustand immer mehr verschlechtert, so Kai Weber. Einen Tag vor der Polizeiaktion bat der Bulgare den Niedersächsischen Flüchtlingsrat per e-mail um »öffentlichen Druck gegen die Ausländerbehörde«, um wenigstens eine Duldung wegen Suizidgefahr zu erhalten. Reimar Paul |