taz, 23.12.1999 Seite 6 Anzeige gegen Amtschef Flüchtlingsrat: Leiter der Braunschweiger Ausländerbehörde schuld an Todesschüssen Berlin (taz) - Gestern erhob der niedersächsische Flüchtlingsrat Strafanzeige gegen den Leiter der Ausländerbehörde Braunschweig, Edgar Wrobel. Er sei verantwortlich für die lebensgefährlichen Schüsse auf den bulgarischen Flüchling Zdravko Nikolov Dimitrov. Beamte der Ausländerbehörde hatten am 10. 12. 1999 ein Sondereinsatzkomando (SEK) bestellt, nachdem Nikolov sich weigerte, mit ihnen zu gehen, und mit Suizid drohte. Der Flüchtlingsrat wirft Amtsleiter Wrobel nun Körperverletzung mit Todesfolge, Freiheitsberaubung und Rechtsbeugung vor. Der Wissenschaftler Nikolov emigirierte nach Deutschland, weil er 1992 in einem psychiatrischen Gefängnis in Sofia von Polizisten und Ärzten misshandelt wurde. Der 36-Jährige stammte aus einer alten kommunistischen Familie und war in der "kommunistischen Dimitroff-Jugend" aktiv. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 wurde der Physiker der bulgarischen Akademie der Wissenschaften von den Behörden deshalb schikaniert und schließlich gefoltert. Deutschland gewährte Nikolov jedoch kein Asyl. Da bei Nikolov jedoch wegen der erlittenen Misshandlung eine aktute "Suizidgefahr" bestand, sicherte ihm die Ausländerbehörde zu, dass er vorerst nicht abgeschoben werde. Der Flüchtling hatte erklärt: "Ich gehe nicht lebend nach Sofia." Die Beamten bestanden allerdings, trotz mehrer Gutachten von Fachärzten, auf einer Untersuchung durch den Amtsarzt. Nikolov erschien nicht zum Termin, weil er Angst hatte, "in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen zu werden". Sepp Graessner, leitender Arzt des renommierten "Behandlungszentrums für Folteropfer" in Berlin, appellierte daraufhin an die Behörde, von einer amtsärztlichen Untersuchung abzusehen. Da "staatliche Ärzte" in Sofia versucht hätten, Nikolov zu "psychiatrisieren", bestehe die Gefahr einer "Retraumatisierung", heißt es in Graessners Stellungnahme. Auch das Verwaltungsgericht Braunschweig bestand nicht auf einer "zwangsweise Vorführung". Doch Amtsleiter Edgar Wrobel ordnete die Festnahme des Flüchtlings zwecks amtsmedizinischer Visitation an. Als Nikolov beim Eintreffen der Beamten in seiner Wohnung drohte, sich mit einem Küchenmesser zu töten, wurde das SEK verständigt. Die angerückten Polizisten warfen eine Blendgrante, stürmten und schossen "in Notwehr". Der Flüchtling hatte versucht, sich mit dem Küchenmesser zu wehren. In der Nacht von Montag auf Dienstag starb Nikolov an den Folgen der Schussverletzungen. Isabelle Siemes |