Badische Zeitung, 27. Dezember 1999 Kirchenasyl in Furtwangen Illegale Aktionen verbinden sehr Von unserem Mitarbeiter Benno Stieber Am Kühlschrank der grauen Einbauküche klebt ein Zettel: "Lebensmittel für Familie Sakiz. Gefrierfach allgemein". Die geräumige Küche wirkt fast steril, kein Geschirr steht herum, kein Spielzeug liegt auf dem Boden. Am runden Küchentisch sitzt Ali Sakiz und blättert in einer Zeitung, der einzigen Verbindung zu seiner Heimat. Die "Özgür Politika" hat an diesem Tag Fotos von 20 Männern und Frauen veröffentlicht, die dem Krieg zwischen der PKK und der türkischen Staatsmacht zum Opfer gefallen sind. Darunter drei Freunde von Ali Sakiz, von denen er sicher weiss, dass sie keine Waffe in die Hand genommen haben. Sie sind zwischen die Fronten geraten, so wie er, der eigentlich nur in seinem Heimatdorf Kücüt Ungüt Köy als Bauer leben wollte. Statt dessen sitzt er jetzt mit seiner Familie im dick verschneiten Furtwangen, in der Gemeinschaftsküche des Don-Bosco-Heims, wo sich vor einigen Jahren Skisprung-Ass Martin Schmidt Eier in die Pfanne gehauen hat. Nebenan kichern Sakiz Töchter Gülhan, Nazan und Seyran vor dem Vorweihnachtsprogramm von RTL 2. Immer mal wieder huscht ein Zögling des Sportinternats durch die Gemeinschaftsräume, die zum Wohnbereich der Familie Sakiz geworden sind. In den zwei engen Zimmern mit den Stockbetten, in denen die fünf seit mehr als einem Jahr schlafen, kann man nicht den Tag verbringen. Die Sakiz leben seit Oktober 1998 im Kirchenasyl, dem am längsten andauernden in Baden-Württemberg. 1993 hatte Ali Sakiz seinen Militärdienst in der türkischen Armee beendet und dachte, dass er damit seine Pflicht für den türkischen Staat geleistet hatte, zumal als Kurde. Doch die türkischen Militärverwaltung wollte mehr. Er sollte Dorfschützer werden, sein Heimatdorf gegen die PKK verteidigen, was mitten in PKK-kontrollierten Gebiet einem Himmelfahrtskommando gleichkommt. Sakiz floh in die Schweiz, wurde aber schnell wieder "ausgeschafft", wie die Schweizer Behörden die Abschiebung nennen. Die türkischen Behörden hatten Sakiz offenbar schon zurück erwartet. Gleich nach seiner Ankunft am Flughafen wurde er festgenommen. Später im Gefängnis wurde er zusammengeschlagen und ein Hund auf ihn gehetzt. Sakiz erwachte in einem Krankenhaus, das er nach einigen Tagen verlassen durfte. Er kehrte zurück in seine Heimat, doch das Militär tyrannisierte ihn und seine Familie weiter. 1995 versuchte Ali Sakiz die zweite Flucht, diesmal nach Deutschland. Hier wird aus Ali Sakiz' Schicksal der Fall Sakiz, mit dem üblichen Behördenweg: Asylantrag, Ablehnung, Asylfolgeantrag, zweite Ablehnung, dazu gleich die Ausreiseaufforderung. Eben der Weg, den 1998 in Deutschland 62 Prozent aller Asylanträge gegangen sind. Ohne ihren Hausarzt Wieland Walther wären die Sakiz wohl längst abgeschoben, wie 14000 andere Asylbewerber im vergangenen Jahr auch. Wieland Walther, der ältere Herr mit der Hornbrille, ist als Idealist wohl recht treffend beschrieben. Vor Jahren gründete er in Furtwangen einen Dritte Welt Laden, engagierte sich bei "Ärzten gegen den Atomkrieg" und behandelt häufig kostenlose Flüchtlingsfamilien. Als 1992 in Deutschland die Asylantenheime brannten, gründete der Mediziner den Arbeitskreis gegen Rassismus. Und schaffte es schon damals neben Polizei und Feuerwehr fast alle Furtwanger Vereine bis hin zur Narrenzunft zu einer Telefonkette für den Fall eines Anschlags zusammenzuschließen. Was dem heute 63-jährigen Arzt sicher auch deshalb gelungen ist, weil viele der Leute, die er um Hilfe gebeten hat, schon wegen so mancher Grippe zu ihm gekommen waren. So einer schafft es auch, drei Kirchengemeinden und die Patres des Salesianer Orden zu einer Aktion zusammenzubringen, die illegal ist wie das Freiburger Regierungspräsidium gleich wissen ließ. Walther überzeugte die Pfarrer der evangelischen, altkatholischen und - was als besonderer Erfolg gefeiert wurde - den katholischen Stadtpfarrer Josef Beha davon, dass Ali Sakiz vor der Abschiebung bewahrt werden muss. Dass er von seinen Misshandlungen im Istanbuler Gefängnis stark traumatisiert ist, was ein Gutachten des Roten Kreuzes inzwischen bestätigt hat. Und dass dem 34-jährigen bei seiner Rückkehr noch einmal das gleiche oder noch schlimmeres droht. Und die organisierten Christen Furtwangens halfen. Drei weitere Fälle von Kirchenasyl in Baden-Baden und Hausach gibt es derzeit in Baden-Württemberg. Ali Kutgan in Hausen teilt ein ähnliches Schicksal wie die Familie Sakiz. Auch ihm droht Folter bei seiner Rückkehr, auch er ist zwischen die Fronten des Bürgerkriegs geraten. Amnesty International hat seinen Fall dokumentiert, es ist eine Petition im Bundestag gestellt und kürzlich hat ihm sogar der evangelische Landesbischof einen offiziellen Besuch abgestattet, was das Bundesamt zur Anerkennung von Asylbewerbern freilich nicht beeindruckt. In Furtwangen trägt ein Unterstützerkreis von etwa 40 Personen seit 15 Monaten das Kirchenasyl, darunter durchaus angesehene Familien Furtwangens. Sie kaufen zweimal die Woche für die Familie Sakiz ein, helfen den Kindern bei Hausaufgaben und holen sie zum Spielen ab. Sie fahren Ali Sakiz zu seinem Anwalt und besorgen Übersetzer. Es gibt auch einen Notfallplan, für den Fall, dass die Polizei doch einmal versuchen sollte die Familie Sakiz aus ihrem Kirchenasyl zu holen, was hier aber keiner erwartet. Inzwischen ist so etwas wie Routine bei den Furtwanger Unterstützern eingekehrt, so dass Wieland Walther, der dieses Jahr seine Praxis aufgegeben hat, sich in Kirchzarten zur Ruhe setzten konnte und nur noch gelegentlich um Hilfe gebeten wird. Furtwangen ist offenbar ein guter Ort für Flüchtlinge. Zwar könne man nicht sagen, dass der ganze Ort hinter dem Kirchenasyl steht, sagt Walther, aber es gibt keine offene Kritik daran. Nur drei anonyme Briefe, haben die Unterstützer während der ganzen Zeit bekommen. Den Poststempeln nach zu urteilen, übrigens keiner davon aus dem Ort. Schon 1992, während des Golfkrieges, waren in Furtwangen zwei Deserteure der US-Armee im Bregtal wochenlang ganz offen untergebracht gewesen. In Tübingen, wo der Rhetorikprofessor Walter Jens sie davor versteckt hatte, waren sie von einem Nachbarn angezeigt worden. Walter Jens brachte das eine Geldstrafe und Wieland Walther die Bekanntschaft mit dem bekannten Tübinger Professor ein. Als das Kirchenasyl in Furtwagen eingerichtet wurde, hat Walter Jens gleich seine Unterstützung zugesagt. "Illegale Aktionen verbinden sehr", schmunzelt Doktor Walter, und sieht in kariertem Hemd und blauem Pullunder eigentlich gar nicht subversiv aus. Bei großer Medienpräsenz kam Jens im November zu Besuch nach Furtwangen. Und nutzte die Gelegenheit zu einer Generalabrechnung mit der Deutschen Asylpraxis und einer Standpauke für den Innenminister. Der hatte erst kürzlich mit dem pauschalen Hinweis auf die mangelnde Bereitschaft der Bürger mehr Flüchtlinge aufzunehmen, das ohnehin verstümmelte Grundrecht auf Asyl gleich ganz in Frage gestellt. Nach der Rede von Jens, sagte eine Frau, was viele der braven Bürger im Furtwanger Unterstützerkreis denken: "Der Staat muss ganz schön angeknackst sein, wenn so etwas wie Kirchenasyl überhaupt notwendig ist." Für die Familie Sakiz ist die nächste Hoffnung ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, den ihr Anwalt beim Freiburger Verwaltungsgericht gestellt hat. Wird dem stattgegeben, müssten sie fürs erste keine Abschiebung fürchten und könnten sich wieder frei Bewegen. Ein dauerndes Bleiberecht bedeutet das aber noch lange nicht.
|