Frankfurter Rundschau, 27.12.99 Demirel warnt vor Hinrichtung Tod Öcalans soll EU-Beitritt der Türkei nicht behindern Von Gerd Höhler ATHEN, 26. Dezember. Der türkische Präsident Süleyman Demirel hat an das Parlament appelliert, vor einer Abstimmung über die Hinrichtung des zum Tode verurteilten PKK-Chefs Abdullah Öcalan die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte abzuwarten. Die Nationalversammlung müsste eine Exekution ausdrücklich bestätigen. Die Todesstrafe ist in der Türkei seit 1984 nicht mehr vollstreckt worden; im Fall Öcalans gibt es jedoch starken Druck seitens großer Teile der türkischen Öffentlichkeit, die Strafe zu vollstrecken. Dafür sprachen sich jüngst auch führende Politiker der rechtsradikalen Partei der Nationalistischen Bewegung aus, die an der Regierung beteiligt ist. Demgegenüber mahnte Staatspräsident Demirel am Wochenende vor der Presse, im Fall Öcalan gelte es "die übergeordneten Interessen der Türkei" zu berücksichtigen; man müsse sich "von Vernunft und nicht von öffentlichen Emotionen" leiten lassen, sagte der Staatspräsident. Damit bezog sich Demirel offenbar auf das Ziel seines Landes, Mitglied der EU zu werden. Eine Hinrichtung Öcalans, so warnten zahlreiche europäische Politiker in den vergangenen Monaten, würde die Annäherung der Türkei an die EU weit zurückwerfen. Unterdessen legten die Anwälte Öcalans am Wochenende ihr letztes Rechtsmittel gegen das vor einem Monat auch in der Revisionsinstanz bestätigte Todesurteil ein. Sie beantragten eine sogenannte Korrektur des Urteils, eine Herabsetzung des Strafmaßes. Dass sie damit Erfolg haben, ist aber unwahrscheinlich, weil es dazu der Zustimmung des Anklägers, Generalstaatsanwaltes Vural Savas, bedürfte. Der jedoch hat sich mehrfach für die Hinrichtung ausgesprochen. Öcalan-Anwalt Ercan Kanar erklärte in Istanbul, er rechne nicht mit einem Erfolg der Eingabe. Erst nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel kann Öcalan den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen. Zum angestrebten EU-Beitritt seines Landes sagte Staatspräsident Demirel in Ankara auf seiner traditionellen Pressekonferenz zum Jahresende, es liege "auch in unseren Händen, wann wir Vollmitglied der EU werden können". Als mögliches Beitrittsdatum nannte Demirel das Jahr 2004. Dazu gelte es allerdings, die Strukturen der öffentlichen Verwaltung anzupassen, Korruption und Geldwäsche zu bekämpfen, rechtliche Reformen zu verwirklichen, die Verfassung des Landes europäischen Standards anzugleichen und die Inflationsrate zu senken.
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