junge Welt, 28.12.1999 Exportgeheimnissen auf der Spur Auch unter Rot-Grün: Deutschland bleibt einer der großen Waffenlieferanten der Welt Seit einer Bundestagsdebatte zur Kontrolle von Rüstungsexporten Ende Oktober 1990 wird das Parlament nun zwar jedes Jahr vom Wirtschaftsministerium über genehmigte Ausfuhren von Waffen und als Waffen verwendbare Güter informiert. Doch diese nach Empfängerländern und Auftragssummen geordnete Statistik hat Haken. Sie legt nicht offen, welche Waffen geliefert werden, weist über mehrere Jahre laufende Geschäfte nicht aus, nennt keine Hersteller und dient letztlich als internes Arbeitspapier nicht der Information der Öffentlichkeit. Die rot-grüne Bundesregierung hat mit einem kurz vor Weihnachten vorgelegten Entwurf zu Rüstungsexportrichtlinien auch einen jährlichen Bericht über Waffenexporte versprochen. Ob das angesichts der Geheimhaltung in Waffenfirmen, die unter Konkurrenzdruck stehen, machbar ist, muß erst einmal abgewartet werden. Bis heute ist Transparenz im Waffenhandel noch Sache von Friedensforschern und aufmerksamen Nichtregierungsorganisationen. So stellte die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) Mitte Dezember ihren dritten »Rüstungsexportbericht« für die Bundesrepublik vor, für den nationale und internationale Angaben zusammengetragen wurden. Danach sollen 1998 Großwaffen für 1,9 Milliarden Mark exportiert worden sein. US-Quellen rechnen gar mit 2,8 Milliarden Mark. Das sei zwar ein Rückgang nach den Boomjahren, in denen NVA-Waffen in großem Maßstab an die Türkei oder Indonesien abgegeben wurden. Vorliegende Bestellungen führten allerdings zum Schluß: »Deutschland bleibt einer der großen Rüstungsexporteure und nimmt aktiv am Aufschwung des internationalen Waffenhandels teil.« Nach EU-Angaben hat die Bundesregierung in den letzten zwölf Monaten immerhin 11 400 Genehmigungen erteilt. Dagegen stehen seit Juni 1998 nur 27 Verweigerungen. Geliefert werden vor allem Schiffe und Flugzeuge sowie Altmaterial der Bundeswehr. Der Umfang jetzt vereinbarter Neugeschäfte hat dazu geführt, daß deutsche Waffenproduzenten in US- Statistiken mit 9,6 Milliarden Mark auf Platz zwei hinter den USA aufgerückt sind. Nach Berechnungen des Stockholmer SIPRI-Instituts landete Deutschland dagegen nach den USA, Frankreich und Rußland auf dem vierten Platz. Geliefert wurden 1998 unter anderem: 552 Anti- Panzer-Raketen HOT-3 an Österreich, 121 Leopard 1 an Kanada, Radarsysteme an Chile, sechs Transportflugzeuge Do-328 an Kolumbien, 41 Leopard 2 an Dänemark, 170 Leopard 1, 1 250 Boden-Luft-Raketen Stinger, ein U-Boot Typ 214, eine Option für 60 Eurofighter an Griechenland, vier U-Boote, eine Fregatte, ein Minensucher, 4 800 Stinger an die Türkei, drei U- Boote der Dolphin-Klasse an Israel, 60 BTR-70 Schützenpanzer an Mazedonien, 36 Gepard-Flak-Panzer an Rumänien, vier Fregatten und drei U-Boote an Südafrika, 20 Alpha-Jets an Thailand, zwölf Bo-105- Hubschrauber an Südkorea, 610 umgebaute Schützenpanzer aus DDR-Beständen, 29 Leopard 2A5 an Schweden. Eine stolze, aber unvollständige Bilanz, denn hier fehlen noch immer Kleinwaffen, wie das G-3- Gewehr, das nach Lizenzbau in 17 Ländern heute in 64 Ländern benutzt wird. Weltweit wird die Zahl auf sieben Millionen geschätzt. Hervorgehoben werden im GKKE-Bericht die absehbaren Folgen des Jugoslawien-Kriegs für den Rüstungshandel. Fachleute meinen, daß sich andere Staaten angesichts der Selbstmandatierung der NATO zur Intervention veranlaßt sehen, sich durch Waffenkäufe auf die Abwehr solcher Schläge vorzubereiten. Auch die Nachahmung der US-Strategie ist möglich. All das wird die Rüstungsspirale weiter drehen. Auch die technologische Überlegenheit der US-Truppen im Krieg wird zu einem Umbau beteiligter europäischer Streitkräfte führen. Äußerungen von Verteidigungsminister Rudolf Scharping bestätigen das. Er will Präzisionswaffen für Tornado und Eurofighter, Transportflugzeuge, neue Schützenpanzer, den Kampfhubschrauber Tiger, unbemannte Drohnen und Satelliten für die Aufklärung anschaffen. Für die GKKE zeigt die Lieferung des Leopard-Testpanzers an die Türkei, welches Gewicht rot-grüne Regierungsbekenntnisse zur Wahrung von Menschenrechten und zur Krisenprävention bei Exportentscheidungen spielen, »wenn wirtschaftliche Interessen und Bündnisanliegen Hand in Hand gehen«. Bernd Verter
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