Süddeutsche Zeitung, 28.12.1999 Ermessen nach bayerischer Art Die Verwaltungsvorschriften lassen den Behörden Spielraum, Bayern legt eigene Maßstäbe an "Schlank und zügig" wünscht sich die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Grüne), die Einbürgerungsverfahren. Doch was Beck wünscht, ist noch lange nicht Befehl für die Verwaltungen. Nach zähem Ringen einigten sich die Innenministerien von Bund und Ländern erst Ende November auf einen 76 Seiten starken und damit alles andere als schlanken Katalog von Verwaltungsvorschriften zum neuen Staatsangehörigkeitsrecht. Um weiteren Streit zu vermeiden, wurde dabei den unionsregierten Ländern wie Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg ermöglicht, auch künftig vor Einbürgerungen regelmäßig beim Verfassungsschutz anzufragen, ob gegen den Bewerber Bedenken bestehen. Am 1. Dezember begrüßte Bayern die neuen Regeln, nahm 14 Tage später seine Zustimmung aber wieder zurück. Nachdem das Berliner Kabinett den Katalog beschlossen hatte (der noch vorläufig ist, weil die Zustimmung des Bundesrates aussteht), entdeckte der Freistaat in den Vorschriften nun "die Tendenz", die Anforderungen "an Einbürgerungsbewerber herabzusetzen". Deshalb werden in den 96 bayerischen Einbürgerungsbehörden ab Januar andere Regeln gelten als im Rest der Republik. Wie sich dies in den Kommunen auswirkt, wird aber erst die Praxis zeigen, denn alle Verwaltungsvorschriften enthalten Ermessensspielräume für eine strenge oder großzügige Handhabung. Der Sprachtest. Bayern hat in einem eigenen Regelwerk festgelegt, dass vom Einbürgerungsbewerbern "ein Diktat von nicht mehr als einer Seite Umfang" verlangt werden kann. "Ausreichende Sprachkenntnisse" liegen nach den Grundsätzen des Bundes dagegen bereits vor, wenn sich der Bewerber mündlich so ausdrücken kann, wie es seinem Alter und Bildungsstand entspricht und wenn er einen deutschen "Text des alltäglichen Lebens" lesen kann. Dies kann ein Zeitungsartikel sein. Bei Bewerbern, die älter als 60 Jahre sind, sollen die Behörden Nachsicht üben. Das Verfassungsbekenntnis: Wer Deutscher werden will, muss eine "Loyalitätserklärung" abgeben. Dieses Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung umfasst das Eintreten für Demokratie, Gewaltenteilung und Menschenrechte. Die Vorschriften des Bundes lassen offen, ob es genügt, dass der Bewerber eine entsprechende Erklärung unterschreibt, oder ob, wie offenbar in Bayern beabsichtigt, die Behörde auch eine Art Prüfung in Staatsbürgerkunde abhalten kann. In bestimmten Fällen (bei so genannten Jugendsünden) kann auch Deutscher werden, wer sich von verfassungsfeindlichen Bestrebungen glaubhaft wieder verabschiedet hat. Bayern wollte, dass der Bewerber seine früheren Aktivitäten ausdrücklich "bedauert". Der Doppelpass: Der Amtsbegriff für den Doppelpass ist "Mehrstaatigkeit". Diese zu vermeiden, ist erklärtes Ziel der bayerischen Staatsregierung. Wer aus der Staatsbürgerschaft seines Herkunftslandes nicht entlassen wird, soll nach den Vorstellungen aus München dagegen Rechtsmittel einlegen müssen. Die Ausländerbeauftragte Beck dagegen warnt, man könne Einbürgerungsverfahren auch "zu Tode verwalten". Einige Länder, zum Beispiel Serbien, entlassen ihre Bürger nur gegen hohe Gebühren aus der Staatsbürgerschaft. Die Bundes-Verwaltungsvorschriften ziehen hier eine Obergrenze von 2500 Mark. Was darüber liegt, gilt als unzumutbar. In solchen Fällen kann auch Mehrstaatigkeit "hingenommen" werden. Das gleiche gilt für Bewerber, die sich mindestens sechs Monate lang nachhaltig und amtlich belegbar aber vergeblich um die Entlassung aus ihrer bisherigen Staatsbürgerschaft bemüht haben. Wird die Entlassung allerdings nicht aus reiner Schikane, sondern etwa deshalb verweigert, weil der Ausländer noch Unterhaltspflichten in seinem Heimatland nachkommen muss oder Steuerrückstände hat, kann er nicht mit dem deutschen Pass rechnen. Verlangt der Heimatstaat vor der Entlassung aus der Staatsbürgerschaft die Ableistung des Wehrdienstes, dann gilt dies in bestimmten Fällen als unzumutbar, etwa wenn der künftige Deutsche damit "in eine bewaffnete Auseinandersetzung" mit der Bundesrepublik oder der Nato verwickelt werden könnte. Fordert die alte Heimat einen Freikauf vom Wehrdienst gegen viel Geld (wie die Türkei, die 10 000 Mark verlangt), so gilt auch dies als nicht zumutbar. Günstig für den Bewerber ist, wenn er seinen Wehrdienst in Deutschland ableisten will. Übergangsregelung: Sie gilt für Kinder, die am 1. Januar 2000 das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben und deren Mutter oder Vater rechtmäßig seit acht Jahren in Deutschland lebt. Sie können bis 31. Dezember 2000 einen Antrag auf deutsche Staatsbürgerschaft unter Beibehaltung des alten Passes stellen. Auch sie müssen sich - wie ab 1. Januar geborene Kinder - bis zum 23. Lebensjahr für einen Pass entscheiden. Die Übergangsregelung soll in Bayern nur angewandt werden, wenn sie ausdrücklich verlangt wird. Die rot-grün regierte Stadt München wiederum verschickt schon mal eigene Infobriefe. Christiane Schlötzer
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