Süddeutsche Zeitung, 29.12.99 Zur Strafe nach Hause Justizministerin Däubler-Gmelin will ausländische Häftlinge abschieben Dass Sozialdemokraten sparen und rechnen können, hat Finanzminister Hans Eichel bewiesen. Nun wollen es ihm andere Kabinettsmitglieder gleich tun - zum Beispiel Herta Däubler-Gmelin, die Bundesjustizministerin. Sie will sich nicht damit abfinden, dass die deutschen Gefängnisse dramatisch überfüllt sind. Zwar steigt die Kriminalitätsrate nicht, aber die Richter strafen immer schärfer. Die Haftanstalten sind so dramatisch überfüllt, dass ein resozialisierender Strafvollzug, wie ihn das Gesetz vorsieht, oft nur noch auf dem Papier steht. 50 000 Haftplätze gibt es in Deutschland, wenn man die Untersuchungshaft hinzu zählt 60 000. Wie schafft man also wieder Platz, ohne neue Haftanstalten zu bauen? Die Rechnung Däubler-Gmelins dürfter in groben Zügen so aussehen: Dreißig Prozent der Insassen sind Ausländer; etwa die Hälfte von ihnen verbüßen nur kurze Strafen oder gehören zur ausländischen Wohnbevölkerung in Deutschland, können also nicht so leicht abgeschoben werden. Die anderen schon. Und hier setzt die Überlegung an: Wenn man sie nämlich nicht erst, wie bisher, nach Verbüßung der Strafe, sondern schon vorher oder währenddessen abschiebt, schafft man Platz und spart man Geld. Der Münchner Strafrechtsprofessor Heinz Schöch kommt bei überschlägiger Rechnung auf bis zu fünftausend Haftplätze, die so frei werden könnten - die Belegschaft von zehn großen Gefängnissen. Solches Rechenwerk ist aber derzeit nicht viel wert: Nach geltender Rechtslage kann der Häftling nur dann vom deutschen ins ausländische Gefängnis abgeschoben werden, wenn er einverstanden ist. Grundlage ist ein Europaratsübereinkommen von 1983. Das entscheidende Zusatzprotokoll des Jahres 1997, das die Abschiebung von Häfltingen in ihr Heimatland auch gegen ihren Willen erlaubt, ist aber bislang noch nicht in Kraft. Es wurde bisher nur von Mazedonien ratifiziert. Die Ratifikation in Deutschland ist nach Auskunft des Bundesjustizministeriums in Vorbereitung - Deutschland wird dadurch verpflichtet werden, deutsche Straftäter in Haft zu nehmen, die im Ausland verurteilt worden sind. Ob, wann und wie viele ausländische Straftäter aber aus Deutschland in ausländische Knäste abgeschoben werden können, wird davon abhängen, welche Staaten wann das Zusatzprotokoll von 1997 in nationales Recht übernehmen - also etwa die Türkei, Marokko oder die osteuropäischen Länder. Das freilich liegt nicht in der Hand der Justizministerin; und sie ist auch nicht bereit, durch finanzielle Zuschüsse die Bereitschaft anderer Staaten zur Aufnahme "ihrer" Straftäter zu fördern. Das sei Ländersache, sagte Däubler-Gmelin der SZ. Angesichts dieser Rechtslage (die man durch Hinweise auf inhumane Zustände in den Haftanstalten bestimmter Staaten weiter komplizieren kann) wird eine Abschiebung von Haftanstalt zu Haftanstalt in absehbarer Zeit die deutschen Gefängnisse nicht entscheidend entlasten. Den Vorschlag der Justizministerin mag man also eher als trickreichen Hinweis auf die katastrophale Situation in den deutschen Gefängnissen werten. Die Abhilfe könnte eher so aussehen: Mehr gemeinnützige Arbeit statt Haft. Mehr und früher offener Vollzug als derzeit. Das Ziel muss sein, daß die Gefängnisse wieder in der Lage sind zu resozialisieren. Denn Resozialisierung ist vorbeugender Opferschutz. Heribert Prantl |