Der Bund (CH), 29.12.99 Kommentar Bagdads Chance WALTER LÜTHI Das als Folge der Eroberung Kuwaits im August 1991 über Irak verhängte Embargo erweist sich immer mehr als menschliche Katastrophe, vor allem für die heranwachsende Generation. Diese Katastrophe darf nicht länger verharmlost werden - nicht erst seit der im August veröffentlichten Unicef-Untersuchung über die Kindersterblichkeit. Bisher sind alle Bemühungen des Uno-Sicherheitsrats gescheitert, Saddam Hussein zur Einlösung der nach dem Golfkrieg auferlegten Abrüstungsmassnahmen zu zwingen. Erst wenn er mit der Uno offen zusammenarbeitet, wird die Wirtschaftssperre aufgehoben. Die krude Mischung aus militärischem Druck der USA und der Verschlagenheit des Diktators hat das irakische Volk zur Geisel ohne Zukunft gemacht. Die von Grossbritannien unterstützten harten Militärschläge der USA vor einem Jahr und die regelmässigen Luftangriffe in der südlichen und nördlichen Flugverbotszone haben den diplomatischen Spielraum weiter eingeengt: Die Irak-Politik der westlichen Führungsmacht geriet in eine Sackgasse, aus der es scheinbar keinen Ausweg mehr gab - weder für Saddam Hussein und sein darbendes Volk von über 35 Millionen noch für Washington. Vor zehn Tagen schliesslich hat der in der Irak-Frage gespaltene Uno-Sicherheitsrat nach zähen Verhandlungen einstimmig eine neue Resolution verabschiedet. Die Resolution 1284 ist - vor allem auf französischen Druck hin - so elastisch formuliert, dass Bagdad erstmals seit 1991 die Chance erhält, das Joch der Sanktionen abzuschütteln. Zwar nicht von einem Tag auf den andern, aber der neue Abrüstungsmechanismus der Uno ist weit flexibler als das Überwachungsregime der gescheiterten, von den USA unterwanderten Unscom. Die Resolution nimmt erheblich auf die politische Gemütslage Bagdads Rücksicht. Wird sie umgesetzt, wahren sowohl Saddam Hussein wie der Westen das Gesicht. Bisher hat der Diktator die vom Uno-Sicherheitsrat gebaute goldene Brücke nicht betreten: Bagdad lehnte die Resolution ab. Das muss allerdings nicht Saddam Husseins letztes Wort sein. Er mag auf die Zusammensetzung des neuen Uno-Inspektorenteams warten, das Generalsekretär Kofi Annan innert 30 Tagen ernennen muss. Ein Elchtest für beide Seiten. |