junge Welt, 04.07.2001 Nagelprobe für Europa Großdemonstrationen und Identitätskampagne gegen das PKK-Verbot Am vergangenen Samstag demonstrierten in mehreren Städten der Bundesrepublik Zehntausende Kurdinnen und Kurden gegen das 1993 verhängte PKK-Verbot. Allein in Hamburg zogen etwa 4 000 Menschen mit Transparenten mit der Aufschrift »Wir lassen uns nicht verbieten« und der Parole »Ich bin PKK« durch die Innenstadt. Während der Demonstration kam es zu keinerlei Zwischenfällen. Jedoch wurde ein deutscher Demonstrationsteilnehmer im Anschluß an die Kundgebung festgenommen, als er gerade seine Wohnungstür aufschließen wollte. Er wurde auf die nächstgelegene Polizeiwache verschleppt, wo ihn das Landeskriminalamt (LKA) verhören wollte. Ihm wurden das Tragen verbotener Symbole bzw. Verstoß gegen das Vereinsgesetz vorgeworfen. Erst gegen Mitternacht wurde er nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung im Polizeipräsidium wieder freigelassen. Vermutlich wird die Teilnahme an der Protestaktion ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz gegen ihn nach sich ziehen. Diese Art der Kriminalisierung von zumeist kurdischen Menschen ist die Folge des PKK-Verbots. Aktive werden beschattet, ihre Telefone abgehört, Vereine und Privatwohnungen observiert und bei jeder sich bietenden Gelegenheit durchsucht. Dagegen wehren die Kurdinnen und Kurden sich mit der Identitätskampagne »Ich bin PKK«. »Nach dem 1. Weltkrieg wurde das Siedlungsgebiet der Kurden im Mittleren Osten durch die Siegermächte im Abkommen von Lausanne auf vier Staaten aufgeteilt«, heißt es in der Erklärung der Konföderation der Kurdischen Vereine in Europa (Kon-Kurd) zur Kampagne. »Fortan lebten die Kurden in der Türkei, Irak, Iran und Syrien und waren Unterdrückung, Massakern und Deportationen ausgesetzt. Jedes Engagement für mehr Rechte für die Kurden wurde als >Separatismus< diffamiert und verfolgt, die Verleugnung der Existenz des kurdischen Volkes systematisch festgeschrieben.« Durch den bewaffneten Kampf der PKK sei es gelungen, die Identität des kurdischen Volkes zu bewahren und die kurdische Frage wieder in die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit zu rücken. Trotzdem »harrt die kurdische Frage weiter ihrer Lösung«. Die Forderungen der Identitätskampagne sind die Aufhebung des PKK-Verbots, die offizielle Anerkennung der nationalen und politischen Identität, das Recht auf freie Organisierung und freie Meinungsäußerung, das grundlegende Recht auf Ausbildung in der eigenen Muttersprache in den EU-Staaten, die sofortige Aufhebung des Todesurteils gegen Abdullah Öcalan sowie die Einberufung einer internationalen Kurdistan-Konferenz zur dauerhaften friedlichen Lösung des türkisch-kurdischen Konfliktes. Mehr als 10 000 Menschen haben innerhalb der ersten zwei Wochen der Kampagne diese Forderungen unterschrieben und sich bei den zuständigen Behörden per Selbstanzeige zur PKK bekannt. »Die Identitätskampagne ist die Nagelprobe für die europäischen Staaten, inwieweit sie ihrem Anspruch, demokratisch zu sein, gerecht werden«, äußerte Songül Karabulut vom Kurdistan Informationszentrum gegenüber jW. »Die Reaktion wird zeigen, ob sie unser berechtigtes Interesse nach politischer und kultureller Anerkennung ernst nehmen, oder ob sie uns mit einer neuen Repressionswelle überziehen.« Birgit Gärtner |