junge Welt, 27. August 2001 Justiz verfolgt »Drahtzieher« PKK-Selbstanzeigen von Kurden: verzweifelte Aufforderung zu einem Friedensdialog Am Montag vergangener Woche waren in Hamburg die Vereinsräume des Volkshauses der Türkei auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft aufgebrochen und durchsucht worden. Die Polizei beschlagnahmte Computer, Unterlagen und nahm drei anwesende Personen vorübergehend fest. Sie wurden erkennungsdienstlich behandelt. Das wurde auf einer Pressekonferenz des türkischen Vereins am Donnerstag bekanntgegeben. Die Aktion habe sich gegen das Kurdistan Volkshaus gerichtet, das dort Räume angemietet habe. Dabei seien auch Räumlichkeiten anderer Gruppen, beispielsweise der mesopotamischen Frauengruppe und das Atelier kurdischer Künstler, aufgebrochen worden. Türen seien ohne Grund beschädigt worden, da es kein Problem gewesen sei, die notwendigen Schlüssel zu besorgen, so ein Sprecher des Vereins. Der Vorsitzende des Kurdistan Volkshauses ist laut Staatsanwalt Ruppert verantwortlich für die Aktivitäten in Hamburg im Rahmen der ldentitätskampagne der PKK. Er hatte sich unter anderem des Vergehens schuldig gemacht, eine Demonstration angemeldet zu haben, die ohne jegliche Zwischenfälle verlief und an der mehr als 4 000 Menschen teilnahmen. Beanstandet wird, daß dort die »Anerkennung der kurdischen Identität« gefordert wurde und »Selbsterklärungen zur PKK« überreicht wurden. Im Rahmen der Identitätskampagne »Ich bin PKK«, die im Juni gestartet wurde (jW berichtete), haben sich inzwischen mehr als 80 000 Menschen in ganz Europa per Selbstanzeige zur PKK bekannt. Etwa die Hälfte davon in der Bundesrepublik. Allein in Berlin unterschrieben innerhalb von etwa vier Wochen 3 000 Kurdinnen und Kurden diesen Aufruf. In Hamburg gab es verschiedene Aktionen, bei denen ebenfalls Tausende Unterschriften bei den Staatsanwaltschaften abgegeben wurden. Die Unterzeichnenden fordern die Aufhebung des PKK- Verbots, die Anerkennung der kulturellen und politischen Identität sowie eine internationale Friedenskonferenz zur Lösung des Kurdistan-Konfliktes. Die bundesdeutsche Justiz reagierte darauf in altbekannter Weise: In Bremen, Hamburg, Peine, Nürnberg, Stuttgart, Frankfurt/Main und Mainz wurden Veranstaltungsverbote für Aktivitäten im Rahmen der Kampagne erlassen. In Stuttgart, Frankfurt am Main und Mainz wurden die Verbote per Gerichtsbeschluß wieder aufgehoben. In den anderen Städten gilt das politische Betätigungsverbot für Kurdinnen und Kurden weiterhin. Da die Staatsanwaltschaft überfordert wäre, wenn sie gegen mehrere zehntausend Menschen juristisch vorgehen müßte, werden nun sogenannte »Drahtzieher« herausgepickt, die belangt werden. Die Hamburger Staatsanwaltschaft scheut dabei auch nicht davon zurück, gegen den Anwalt Heinz-Jürgen Schneider zu ermitteln. Er hatte als Jurist eine Delegation begleitet, die im Juli in der Justizbehörde 2 000 »Bekenner«-Unterschriften abgab. Nachdem die juristischen Möglichkeiten erschöpft seien, das seit 1993 in der BRD geltende PKK-Verbot zu Fall zu bringen, sei die ldentitätskampagne ein »schon verzweifelt zu nennender Versuch«, anerkannt zu werden, so Christiane Schneider, PDS-Kandidatin auf der Liste der Regenbogengruppe für die Hamburger Bürgerschaftswahl, in einer Pressemitteilung. Weiter heißt es dort: »Öffentlichkeit und Behörden müssen die Selbstanzeigenkampagne so begreifen, wie sie gemeint ist: als Aufforderung, endlich in einen offenen Dialog zu treten über Wege zum Frieden in der Türkei. Das Verbot der PKK hilft bei einer friedlichen Lösung nicht weiter.« Birgit Gärtner |