Yedinci Gündem Online, 21. Januar 2002 Konkrete Schritte gefordert PKK-Präsidialratsmitglied Osman Öcalan hat das vor ein paar Tagen unter der Überschrift "Aufruf an die PKK" von sogenannten "Sicherheitseinheiten" veröffentlichte 12-Punkte-Schreiben bewertet. Der Staat müsse konkrete Schritte unternehmen, damit die PKK die Waffen niederlegen könne, so Öcalan: "Das Schreiben kann als eine Diskussionsplattform bewertet werden. Aber es beinhaltet sehr reaktionäre Ansichten." Öcalan nahm vorgestern abend telefonisch an der bei Medya TV ausgestrahlten Sendung "Gündem" teil, wobei er sich zu aktuellen Themen äußerte. Insbesondere verwies er auf das reaktionäre Niveau des "Aufrufes an die PKK", dessen Herkunft nach wie vor unklar ist und zu dem auch der Generalstab bisher keine Stellungnahme abgegeben hat. "Ohne dem Inhalt zuzustimmen, kann es als Initiative bewertet werden, mit der eine Diskussionsplattform geschaffen werden soll. Natürlich haben wir uns die 12 Punkte angeguckt. Es hat immer wieder Flugblätter aus der Luft oder auf dem Land gegeben, so in dem Stil: Ein Mann und eine Frau, daneben zwei Kinder, und dazu heißt es, kommt und heiratet. Früher, zu Zeiten des heißen Krieges hieß es, kommt und eßt eine heiße Suppe. (...) Dieses Mal haben sie also dieses Papier veröffentlicht. Es ist in der Hinsicht wichtig, dass es eine Diskussion hervorruft. Und dass das Wort Kurdistan Erwähnung findet. Es soll nicht im politischen Sinne für ein eigenes Land benutzt werden, sondern lediglich als eine Bezeichnung für eine Gegend. Für jedes Volk gibt es eine Bezeichnung. Die Guerilla soll kommen und kapitulieren. Die kurdische Nation soll nicht als Abspaltungsgrund herhalten. Die Guerilla ist eine bewaffnete Kraft, und eine bewaffnete Kraft ist gewollt oder ungewollt eine Bedrohung, die abgeschafft werden muss." (...) Aufruf an die Regierung Öcalan verwies darauf, dass die PKK strategische und taktische Änderungen vorgenommen und sich als Ziel die Demokratische Republik gesetzt habe. Die Regierung forderte er auf, vor einem Aufruf an die PKK zunächst selbst konkrete Schritte zu setzen. Auf dem 8. Kongress der PKK werde es um eine Auswertung der letzten drei Jahre gehen. (...) "Die Lebensbedingungen des kurdischen Volkes müssen verbessert werden. Es müssen Schritte zu Befreiung gesetzt werden. Als zweites, wenn die Guerilla ihre Waffen niederlegen soll, dann muss eine Generalamnestie erlassen werden. Niemand möchte ins Gefängnis gehen und der Folter ausgesetzt sein. Die Guerilla ist sehr bewusst und entschlossen. Sie ist jahrelang ausgebildet worden. Es kann niemals erwartet werden, dass diese Guerilla kapituliert. Aber damit die Waffen niedergelegt werden, muss eine Generalamnestie erlassen werden. Die Möglichkeit kurdischer Ausbildung muss anerkannt werden, die Möglichkeit zu leben muss anerkannt werden, es muss ökonomische Verbesserungen geben. Wenn es ein solches Programm gibt, kann es einen Fortschritt Richtung Lösung geben. Das sind keine übermässigen Forderungen, es ist nicht verständlich, dass der Staat immer noch keine Annäherung zeigt. Es gibt die ANAP, die von der Notwendigkeit einer Mentalitätsänderung spricht, und es gibt ihren Vorsitzenden Mesut Yilmaz. Einmal hat er davon gesprochen, dass der Weg zur EU über Diyarbakir führt. Auf der anderen Seite spielt er Rückständigkeit. Die ANAP unternimmt keinerlei Anstrengungen. Der ANAP-Abgeordnete Sebgetullah Seydaoglu hat die Freilassung der DEP-Abgeordneten gefordert und alle haben sich dagegen gestellt. Wir nähern uns der Lösung. Während wir auf unserem 8. Kongress die von uns gesetzten Schritte stabilisieren und stärken, muss auch die Türkei einen Schritt setzen." PKK als Garant demokratischer Einheit Weiter erklärte Öcalan, die Türkei betrachte die Angriffe auf die USA vom 11. September mit einer falschen Logik. "Der 11. September hat zwei Dimensionen. Bei der einen handelt es sich um Maßnahmen gegen den Terrorismus, bei der anderen um die Entwicklung der Demokratisierung, um die Quelle des Terrorismus auszulöschen. Darauf haben sie ihr neues Konzept ausgerichtet. Sie denken, ´wir werden die gerechtfertigten Forderungen des kurdischen Volkes mit der Begründung Terrorismus unterdrücken`." Bei der letzten Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates sei ein Konzept entstanden, nach dem alle Forderungen nach Demokratie unterdrückt werden. "In erster Linie handelt es sich dabei um ein gegen das kurdische Volk gerichtete Konzept. Die momentanen Angriffe resultieren daher. Sie sagen, dass hinter der ganzen Angelegenheit die PKK steckt. Dabei ist es nicht wichtig, ob die PKK dahinter steckt, sondern ob die Forderungen legitim sind oder nicht. Wir unternehmen extreme Anstrengungen, um jegliche Gewalt zu verhindern. Das kann nicht jeder. Die Palästinenser können das nicht, aber die PKK hat es gekonnt. Die PKK ist innerhalb der demokratischen Einheit der Türkei die Garantie für eine Lösung der Probleme. Die chauvinistischen und vorurteilsbehafteten Herangehensweisen müssen aufgegeben werden." Unterstützung der Muttersprachen-Kampagne Einen Großteil seines Redebeitrages behielt Öcalan der Muttersprachen-Kampagne vor. Er verwies darauf, dass die Türkei zu diesem Thema bemüht sei, ein verkehrtes Konzept zur Anwendung zu bringen. Öcalan rief das kurdische Volk zur Mobilmachung und zur Unterstützung der Kampagne auf und fuhr fort: "Soweit man sehen kann, steht die Türkei im Widerspruch mit sich selbst. Sie versucht, ein falsches Konzept zur Anwendung zu bringen. Unserer Meinung nach werden die Kurden diese Kampagne zunehmend weiterentwickeln. Wenn sich Millionen daran beteiligen, kann die Repression wirkungslos gemacht werden. Jedes kurdische Dorf, alle Erziehungsberechtigten von SchülerInnen, jeder patriotische Mensch muss Anträge einreichen, die gesamte Studentenschaft muss Anträge stellen. Was wir damit sagen wollen, ist dass die momentanen Aktivitäten Möglichkeiten für die Türkei eröffnen werden. Angestrebt wird praktizierte Demokratie. Es ist kein Vorgehen, mit dem die Einheit der Türkei geteilt werden soll. Diese Haltung der Türkei ist ein Konzept, das angewendet wird. Wir müssen dieses Konzept, das gegen das kurdische Volk angewendet wird, durch massenhafte Beteiligung und die Ausbreitung der Kampagne ergebnislos werden lassen. Wenn die Türkei darauf besteht, ihre Haltung fortzusetzen, wird es Leute geben, die ihr das Recht dazu absprechen. Damit wird der Widerstand gegen eine Demokratisierung in der Türkei überwunden werden. Wenn zu der Wirtschaftskrise nicht auch noch eine politische Krise kommen soll, dann muss auf eine demokratische Lösung der Probleme zugegangen werden. Wir werden auf unserer positiven Haltung bestehen und auf dem 8. Kongress unsere bisher gesetzten Schritte weiter stabilisieren." Prozesse anstrengen Öcalan betonte, dass das von Innenminister Rüstü Kazim Yücelen veröffentlichte Rundschreiben nicht mit der Verfassung zu vereinbaren sei. Dem Volk legte er nahe, Prozesse anzustrengen, weil seine Rechte verletzt worden seien. Weiterhin sagte er: "In der Verfassung der Türkei ist das Recht festgeschrieben, Gesuche einzureichen. Deshalb sagen wir unserem Volk, dass sie Prozesse wegen Verletzung des Verfassungsrechtes anstrengen sollen. Sie sollen ihren Verstand einsetzen. In den Dörfern und Städten, die Studierenden, Erziehungsberechtigten und das gesamte kurdische Volk müssen sich beteiligen. Insbesondere möchte ich noch sagen, dass Diyarbakir seine Rolle spielen muss. Das Auge des kurdischen Volkes ruht auf Diyarbakir. Ausserdem muss Urfa seine Stimme erheben, als Stadt des Propheten Ibrahim und des Vorsitzenden APO. An dieser Stelle möchte ich auch Van grüssen. Van ist der Stolz des kurdischen Volkes. Warum ist Urfa, die Stadt APOs und Ibrahims so still. (...) Bringt euren Kindern das allerschönste türkisch bei. Sie sollen das schönste kurdisch sprechen. Wir sind nicht so chauvinistisch und reaktionär wie sie. Aber vergesst auch nicht, in eurer eigenen Sprache zu sprechen." Zu diesem Thema müsse eine grosse Mobilmachung stattfinden. "Erwachsene und Kinder, alle sollen zwei, drei Stunden die Woche in einer Wohnung Unterricht bekommen. Sie sollen einen finden, der die Sprache gut kann, und Unterricht machen. Damit bekommt die Kampagne einen Sinn. In den Dörfern müssen Hausschulungen gemacht werden. Als den Kosovo-Albanern der Unterricht verboten wurde, hat dort der Hausunterricht begonnen. Auch wir müssen damit beginnen. Alles hat seinen Preis, es gibt Verhaftungen und Festnahmen. Das kann durch ein massenhaftes Anwachsen verhindert werden." |